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[ << | Inhalt | >> ]Ausgabe #456 vom 03.10.2005
Rubrik Texte - lesen oder hören

Joanne K. Rowling "Harry Potter und der Halbblutprinz"

Verkündigung #6, die Papst Benedikt XVI. und dem Vatikan weiter Angst macht
(Buch; Carlsen Verlag)

Harry Potter prägt unsere Gesellschaft? Just während ich dies tippe, sendet Spiegel TV ein Feature zum Thema "Harry Potter und unsere Faszination an Hexen und Zauberei". So ein Mumpitz! Bei Harry Potter geht es um einen elternlosen Jungen, der bei Onkel und Tante denkbar ungeliebt groß geworden ist und nun auf einem Internat erwachsen wird. Wir lesen die Geschichte einer Adoleszenz. Die Zeit zwischen Kindheit und Erwachsensein, geprägt von der Pubertät, die Harry zur vollen biologischen und sozialen Reife führen wird. Damit dies nicht arg langweilig wird, verlegt Joanne K. Rowling Harrys Adoleszenz nach Hogwarts, wo Zauberei gelehrt wird. Wo Harry als Guter gegen das Böse, kurz: Lord Voldemort kämpfen muss. Basta. Diese psychologische Situation Harrys, das Spannungsfeld rund um Tod, Vertrauen und Verlust, in dem wir uns alle wiedererkennen dürften, macht, neben der virtuosen Erzählweise, Joanne K. Rowlings Mär so erfolgreich.
Ja, Joanne K. Rowling erzählt dermaßen seelennah, dass – tätä! – die katholische Kirche sich vor Harry Potter in die Bux macht. Denn deren ältere, kryptische Stories rund um Kreuz, Weihwasser und Jesus, dessen Elternsituation wie bei Harry wackelig ist, der gegen den Teufel (= Lord Voldemort) in der Wüste kämpft, prägt die Kindergemüter nicht mehr. Harry Potter ist früher im Kinderzimmer. Und der erste, das wissen die missionarischen Glaubenshüter im Vatikan, der gewinnt fürs ganze Leben!
Es ist Papst Benedikt XVI. selbst, der als Kardinal Ratzinger 2003 schrieb, Harry-Potter-Bücher "[...] sind subtile Verführungen, die unmerklich und gerade dadurch tief wirken und das Christentum in der Seele zersetzen, ehe es überhaupt recht wachsen konnte". Oh, ihr katholischen Scharlatane, dass euch eine Kindergeschichte dermaßen Angst und bange macht. Habt ihr nicht so viel mehr anzubieten in der Welt, die wir alle teilen? Habt ihr das vergessen? Ihr seid nicht-fiktional! Ihr seid Muggels!
Und jetzt ist die sechste 'Verkündigung' "Harry Potter und der Halbblutprinz" erschienen. Das englische Original war schon seit 10.7.2005 auf Platz 1 auch der deutschen Bestsellerlisten. Daher wissen es die meisten schon, Harrys Leidensweg nimmt neue Tiefen: Hatte er als Baby seine Eltern verloren, so fand er in Sirius Black eine neue Vaterfigur. Joanne K. Rowling ließ Black in Band 5 sterben und Harry erneut in der Krise zurück. In Band 6 nun kümmert sich Prof. Albus Dumbledore liebevoll um Harry. Mit Erinnerungen aus Lord Voldemorts Schulzeit und Jugend lehrt er Harry in Montagssitzungen dessen Schwächen. Dumbledore macht Harry fit für die letzte Schlacht. Doch gerade als Harry vorbereitet ist und mit seiner ersten Liebe, Ginny Weasley, alles klappt, da tötet Snape Dumbledore. Harry ist im Schockzustand. Er verliert die letzte Vaterfigur. Er löst die Beziehung zu Ginny, will allein in den Kampf gegen Lord Voldemort ziehen. Harter Tobak.
Joanne K. Rowling spart nicht an psychologischer Brutalität, sie lotet die Tiefen der Empfindungen auch in den Nebenhandlungen, wo die Pubertät blüht, voll aus. Ein exquisit erzählter, harter aber stellenweise auch sehr witziger sechster Band. Joanne K. Rowlings Erzähltalent, das ist die Magie bei Harry Potter. [vw: @@@@@]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


@@@@@ - potentieller Meilenstein: Starlight
@@@@ - definitives Highlight: Highlight
@@@ - erfreuliche Delikatesse: Delight
@@ - solides Handwerk: Solidlight
@ - verzichtbarer Ausschuss: Nolight


Permalink: http://schallplattenmann.de/a113733


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