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[ << | Inhalt | >> ]Ausgabe #467 vom 09.01.2006
Rubrik Texte - lesen oder hören

Livi Michael "Die flüsternde Straße"

Buch: Reale Grausamkeiten durchweht vom Flair Dickens'
(Buch; Carlsen)

In aller Welt, nicht zuletzt auch in Deutschland, werden täglich Kinder von ihren Eltern, Verwandten, Fremden gefickt, verkauft, in den Mülleimer entsorgt (im Dezember in Köln), in der Mikrowelle gegrillt (kürzlich in New York) oder manuell totgeschlagen. In diesem Moment? Gerade jetzt. Und jetzt. Die Hand voll Fälle, die publik wird, erscheint uns wie Grimms "Hänsel und Gretel" - hmhm, naja, das hatte schließlich ein Happy End.
Die britische Schriftstellerin Livi Michael (45) macht genau diese verdrängte Vielfalt an Grausamkeiten, die Kinder erleiden, zu einem realitätsnahen, faszinierenden, packend erzählten Buch. Titel des 500-Seiters: "Die flüsternde Straße". Anders als das ebenso hinreißende Buch von Morton Rhue, "Asphalt Tribe" (2003), über das Streben und Sterben der Straßenkids in New York, verlegt Livi Michael die Handlung in die Zeit der industriellen Revolution ihrer Heimatstadt Manchester. Dies ist auch die Zeit, in der Charles Dickens seinen "Oliver Twist" schrieb (1837) und damit erstmals die Unterschicht ins Rampenlicht rückte. Nicht verwunderlich, dass Flair und Topoi von "Die flüsternde Straße" auch bei Dickens zu finden sind. Allerdings verzichtet Livi Michael auf den virtuosen plaudertäschlichen Sarkasmus, der Dickens eigen ist; Livi Michael erzählt direkt zwischen die Augen.
Die Story: Als Kleinkinder gibt die arme Mutter ihren Sohn Joe und die jüngere Annie im Armenhaus ab. Ihr Versprechen: Sie wird Geld verdienen und Joe und Annie in wenigen Monaten wieder abholen. Doch die Mutter kommt nicht. Zum Arbeiten werden Joe und Annie, üblich zu dieser Zeit, um die Familien dauerhaft zu splitten, zu einem Bauern gebracht. Der lässt die Kinder hungern, prügelt und sperrt sie bei Frost nachts in den Hühnerstall. Die beiden Kinder fliehen in einer Winternacht, treffen auf den Vagabunden Travis, der sie aber nach wenigen Tagen wieder verlässt. Joe wird Annie an einen Zirkus verkaufen, weil er sie als Last empfindet. In Manchester schließt er sich einer Straßenbande an. An sich wollten beide ihre Mutter suchen, dieser Gedanke hört Joe nicht auf zu quälen. Was sich dann in Manchester, basierend auf historischen Fakten, abspielt, das findet an Grausamkeit, Abenteuer und Rührung kaum seinesgleichen.
Ein wertvolles Buch. Bitte nicht so lesen, als hätte es mit dem heutigen Zustand unserer Gesellschaft nichts zu tun, bitte nicht (nur) als Schmöker nehmen.
Tipp für Eltern: Zum gemeinsamen Lesen mit pubertierenden 12-Jährigen bestens geeignet. Eine Dickens-Übersetzung ist für diesen Zweck sprachlich zu virtuos. Den bitte später lesen, ungekürzt. [vw: @@@@]


@@@@@ - potentieller Meilenstein: Starlight
@@@@ - definitives Highlight: Highlight
@@@ - erfreuliche Delikatesse: Delight
@@ - solides Handwerk: Solidlight
@ - verzichtbarer Ausschuss: Nolight


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