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[ << | Inhalt ]Ausgabe #509 vom 06.11.2006
Rubrik Feature

Interview mit Mari Boine

Anlässlich der gerade laufenden Deutschland-Tournee und dem aktuellen Album "Idjagiedas (In The Hand Of The Night)" führten wir ein Interview mit der samischen Sängerin Mari Boine. Mari Boine ist die wohl bekannteste Vertreterin der Sami, ein Volk, welches man hierzulande eher als Lappen kennt. Lappland umfasst den europäischen Teil des nördlichen Polarkreises, also die nördlichen Zipfel von Schweden, Norwegen, Finnland und Russland. 1989 nahm Peter Gabriel sie für sein Label Real World unter Vertrag; seitdem zählt sie mit ihrer trance-artig treibenden, urwüchsigen Musik zu den erfolgreichsten Künstlern in der sogenannten Weltmusik.

Peter Gruner: Auf Ihren letzten Alben haben Sie viel mit Samples und Elektronik gearbeitet. Was sind die Gemeinsamkeiten zwischen ihren Wurzeln in der Sami-Tradition und elektronischer Musik?

Mari Boine: Schwer zu sagen. Mich fasziniert die Möglichkeit, einen Rhythmus endlos wiederholen zu können, dieser schamanistische Beat. Da gibt es einen Bezug.

'Schamanisch' ist ein Wort, das oft gebraucht wird, wenn von ihrer Musik die Rede ist, wobei die meisten Menschen hierzulande nur eine sehr vage Vorstellung davon haben, was das eigentlich bedeutet. Was bedeutet es für Sie?

Mari Boine: Ich komme aus einer Kultur, die ursprünglich schamanistisch war. Der Schamane hatte Rituale, während derer er oder jemand um ihn herum trommelte und die Frauen dazu sangen. So konnte er ein anderes Bewusstsein erlangen. Er war der, der in Kontakt mit den Geistern stand und sie um Rat fragen konnte. Für mich sind schamanistische Rhythmen die, die dich auf eine andere Stufe heben. Am Anfang hat man mir vorgeworfen, meine Musik sei zu monoton. Wenn man das nicht kennt, denkt man leicht, es ist langweilig, weil es nicht auf intellektueller Ebene stattfindet. Man kann sich nicht dafür öffnen, wenn man nur intellektuell ist. Für mich ist der schamanistische Beat mit dem Herzschlag verbunden und ich denke es gibt Gesetze in der Natur, die bewirken, dass sich der menschliche Körper öffnet, wenn er diesen Rhythmus fühlt. Nicht nur der Kopf, da gibt es noch eine andere Dimension. Für mich ist das eine Dimension, in der man seine Batterien neu aufladen kann.

Erreicht das auch Leute, die mit solchen Dingen keinerlei Erfahrung haben?

Mari Boine: Ja, ich sehe das, wenn ich vor Leuten außerhalb der Sami-Gesellschaft spiele. Sie sagen mir, dass etwas in meiner Musik ihre Herzen berührt. Ich glaube, dass es bei allen Menschen eine Verbindung dazu gibt. Es gibt einen ungarischen Religionswissenschaftler, der behauptet, dass alle Kulturen einmal schamanistisch waren. Für mich macht das Sinn, denn irgendwann einmal waren wir alle der Natur nahe. Für mich ist der schamanistische Beat kein Klischee. Er spricht zu deinem Herzen und dem nicht-intellektuellen Teil in dir.

Sie bewegen sich in beiden Welten: in der alten schamanistischen Sami-Kultur, genauso wie in der modernen westlichen Welt. Ist es nicht manchmal schwer die richtige Balance zu finden?

Mari Boine: Nicht mehr. Früher schon, als mir noch nicht bewusst war, dass es da Unterschiede gibt, als ich dachte, dass alle wüssten, was wir in unserer Kultur wissen. Ich versuchte damals, auch ein Teil der westlichen Kultur zu sein. Heute weiß ich von den Unterschieden, da fällt es mir leichter. Ich bin auch kein Experte in diesen schamanistischen Dingen. Aber ich kenne es durch meine Musik. Für viele Leute ist das so seltsam und mysteriös. Für mich ist es Psychologie, ein Teil des Menschen.

Für Sie ist also nichts mysteriöses?

Mari Boine: Doch, schon, aber nicht so mysteriös, dass man es nicht verstehen könnte. Ich meine, der Mensch an sich ist mysteriös. Aber die moderne Welt erlaubt einem nur den intellektuellen Teil zu gebrauchen, und das ist traurig. Was ich mit meiner Musik sagen will, ist, dass wir beide Teile brauchen, auch den, der mit der Natur verbunden ist. Selbst wenn wir in den großen Städten wohnen.

Welchen Einfluss hat Ihr internationaler Erfolg auf die Sami?

Mari Boine: Ich glaube, sie sind sehr stolz. Natürlich bin ich dort auch umstritten. Manche denken, ich vermische zuviel und dass ich keine traditionelle Sängerin wäre, aber das habe ich auch nie behauptet. Ich habe einen Fuß in der modernen Welt und einen in der Tradition. Ich versuche mich als Mensch auszudrücken, der in der Welt lebt, nicht als Exot, der in einer kleinen Ecke der Welt lebt. Aber ich denke, sie werden immer stolzer, auch weil ich ihnen gezeigt habe, dass wir etwas haben, worauf wir stolz sein können. Ich kämpfe schon lange für den Erhalt unserer Sprache.

In früheren Songs haben Sie zum Teil sehr harte Worte gegen die Unterdrückung der Sami gefunden. Sind Sie noch so wütend?

Mari Boine: Ich kann wütend sein, wenn ich Ungerechtigkeit sehe. Aber ich habe andere Wege gefunden mich auszudrücken. Am Anfang war da viel Zorn, der raus musste. Aber es bringt einem nichts, wenn man einfach nur wütend ist. Ich fühle mich stärker, wenn ich stolz auf meine Herkunft bin und das mit meiner Musik ausdrücke. Früher habe ich immer gebeten: 'Bitte nehmt unsere Kultur wahr, bitte akzeptiert uns'. Heute bitte ich um nichts mehr, sondern ich zeige: Das ist was wir haben, das ist woran wir glauben.

Aber vieles hat sich verbessert für die Sami, oder?

Mari Boine: Ja, schon, aber es gibt immer noch viel zu verbessern. Wenn man einer ganzen Nation jahrelang erzählt, dass ihre Kultur nicht so gut ist wie andere Kulturen, dann muss man vor allem das Selbstbewusstsein wieder herstellen. Außerdem braucht man Schulen, die die gleiche Qualität haben wie zum Beispiel die norwegischen. Und es ist immer noch ein Kampf da hinzukommen. Auch gibt es teils rassistisch geprägte Diskussionen darüber, wie die Ressourcen in Samiland genutzt werden sollen. Immerhin sind diese Themen manchmal in den Medien und manchmal befassen sich auch die Politiker damit...

Sie werden oft als "Kulturbotschafterin" ihres Volkes bezeichnet. War das eine Rolle, die Sie angestrebt haben?

Mari Boine: Nein, überhaupt nicht. Als ich mir klar wurde über mein Talent und über die Aufmerksamkeit, die mir zuteil wird, wusste ich, dass ich nicht nur über meine Musik reden darf. Es gibt so viele Dinge, die gesagt werden müssen. Und da ich eine der wenigen bin, denen diese Aufmerksamkeit geschenkt wird, wurde mir eben diese Rolle zuteil. Aber ich versuche eine Balance zu finden. Ich will auch einfach nur eine Musikerin sein, denn manchmal ist es schon hart, eine ganze Nation auf den Schultern zu tragen.

Viele der Texte auf dem neuen Album wurden von Karen Anne Buljo geschrieben. Wer ist sie?

Mari Boine: Sie ist Lehrerin an einem College in einer Sami-Stadt. Offiziell ist das keine Sami-Stadt, aber die meisten dort sind Sami. Nebenbei schreibt sie auch. Ein paar Freunde von mir haben uns einander vorgestellt. Was ich an ihr so wundervoll finde, ist, dass sie all die Nuancen in der Sprache hat, die mir fehlen. Ich meine, meine Hauptsprache ist die Musik. Meine Texte sind so minimalistisch, ihre sind viel reicher.

Sie feiern bald ihren fünfzigsten Geburtstag, oder?

Mari Boine: Ja, ich werde da in Berlin spielen.

Wollten sie ihren Geburtstag so feiern?

Mari Boine: (lacht) Nein, das war rein zufällig.

Wenn Sie für Ihren Geburtstag einen Wunsch frei hätten, was würden Sie sich wünschen?

Mari Boine: Schwere Frage... Ich glaube, ich würde mir ein freies Jahr wünschen. Nur bei meinen Freunden sein oder in der Natur, Bücher lesen, Musik hören und nicht über Arbeit nachdenken.

[Tourtermine: 7.11.2006 Leverkusen, 8.11. Berlin, 9.11. Hamburg, 11.11. Marburg] [pg]


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