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[ << | Inhalt | >> ]Ausgabe #552 vom 17.09.2007
Rubrik Texte - lesen oder hören

Qiu Xiaolong / Hilke Veth "Tod einer roten Heldin"

Hörspiel – Heute rot, morgen tot oder: Den Traum von gestern hat der Wind verweht, der Wind von gestern träumt noch seinen Traum
(2CD; Audio-Verlag)

Der Lyriker, Übersetzer und Romanautor Qiu Xiaolong hat nach dem Tienanmen-Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens seiner Heimat 1989 den Rücken gekehrt und lebt seither als Dozent für chinesische Literatur in St. Louis. »Den Traum von gestern hat der Wind verweht, der Wind von gestern träumt noch seinen Traum.«
Stellvertretend für den Autor sind seine autobiographisch gefärbten Romanfiguren in China zurückgeblieben, die trotz mancher Missstände an eine positive Zukunft glauben. So leben und arbeiten in einer sich rapide verändernden Metropole Shanghai der in seiner Freizeit dichtende Polizeioberinspektor Chen Cao, Hauptwachtmeister Yu Guangming, dessen Frau Peiqin und Reporterin Wang Feng an der Schwelle zwischen verordnetem Kommunismus und aufblühendem Kapitalismus, zwischen Pragmatismus und Planerfüllung, zwischen alten Parteistrukturen und dem Aufbruch in ein neues Zeitalter ohne Korruption und ohne gravierende Ungerechtigkeit.
Chen erweist sich als unwiderstehlicher Protagonist, der sich beruflich wie privat bemüht einen möglichst geraden Weg zu gehen. Sein erster Fall beginnt in einem Kanalgraben außerhalb Shanghais und mit der Leiche der Modell-Arbeitsbiene und Vorzeige-Chinesin Guang Hongying. Die Ermittlungen führen Chen über das geheimnisvolle Privatleben Guangs direkt in die Führung der Kommunistischen Partei. Die altgedienten Kader-Revolutionäre sind nicht erfreut und man versucht die Angelegenheit möglichst klein zu halten. Dem Politbüro geht es dabei weniger um ein Einzelschicksal oder gar um die Aufklärung eines Mordes als um die Parteilinie, die unbefleckt zu bleiben hat. Eine landesweite Berühmtheit passt als Wasserleiche nicht ins Konzept. Schon gar nicht wenn der reiche Sprössling eines Ministers im Fadenkreuz der Ermittlungen zu zappeln und der Fall nationale Dimensionen anzunehmen beginnt. Darüber hinaus erweist sich der neue volksrepublikanische Shanghaier Geldadel dem Volkswohl gegenüber als äußerst resistent und weicht unangenehmen Fragen der Ermittler aus. Die gewissenhaften Polizisten Chen und Yu finden sich dabei schnell auf dem gefährlich schmalen Grat zwischen Parteitreue und Wahrheitsfindung.
So wie Chen eigentlich weniger Polizeibeamter als Dichter bzw. auf der Suche nach sich selbst ist, so ist auch sein Autor weniger Krimi-Schreiber dem es um möglichst kunstvolle Falllösungen geht, als ein kritisch intellektueller Beobachter, in dessen Mitte trotz Exilblickes noch ein spürbar chinesisches Herz pocht. Qiu Xiaolong geht es um Lebensportraits Anfang der neunziger Jahre in einer Gesellschaft im radikalen Umbruch, um den gegenseitigen Umgang zwischen der zögerlich abtretenden Mao-Generation und ihren Nachfolgern, und nicht zuletzt auch um die Stadt Shanghai selbst.
Dass es schwer ist, aus einem zehnstündigen Leseerlebnis mit so vielen erinnerungswürdigen Momenten eine knapp zweistündige Hörfassung zu destillieren, muss nicht diskutiert werden. Dass sich das produzierende Deutschlandradio Kultur eine adäquate drei- oder vierteilige Umsetzung nicht zugetraut hat, jedoch schon. Knausrigkeit und Sendeschema siegte über literarische Würdigung eines Hochkaräters. So ist "Tod einer roten Heldin" zwar mit klassischer Spurensuche, akribischer Polizeiarbeit, chinesischer Lösung und erstklassigen Sprechern (Peter Fricke, Andreas Fröhlich, Hans Peter Hallwachs, Tonio Arango, Nina Weniger, Carmen-Maja Antoni) ein packendes Kriminalhörspiel in ungewohnter Kulisse geworden, aber der Bearbeitung Hilke Veths (Regie: Sven Stricker) entgeht, dass die Kriminalhandlung nur die Haut von Qiu Xioalongs zeitgenössischem Roman bildet. Fleisch und Muskeln lägen darunter.
Den Streichungen fallen neben einem wunderbaren Romaneinstieg, vielen Gesprächen (darunter die Chens mit seiner Mutter) und der Hotelbegegnung mit seiner Pekinger Studienfreundin am Ende des Buches auch jene 'literarischen' Teile zum Opfer, die sich mit Dichtkunst, erlesenem Essen, städtischen Beobachtungen oder politischer Historie befassen. Lernt man nur das Hörspiel kennen ist schwer zu verstehen, weshalb Autor und preisgekrönter Roman weltweit so immens viel Begeisterung auslösen konnten. Hier hilft nur der Griff zur Vorlage. Dort begegnet man umfassend dem unwiderstehlichen Sog von Qiu Xiaolongs Zeilen.
Wer der skandinavischen oder venezianischen Valium-Kommissare längst überdrüssig geworden ist, dem seien hiermit unbedingt die inzwischen vier süchtig machenden 'roten' Romane des Chinesen dringend ans Herz – besser noch auf den Nachttisch – gelegt: "Die Frau mit dem roten Herzen", "Schwarz auf Rot", "Rote Ratten" und eben "Tod einer roten Heldin". Nihau! [gw: @@@]


@@@@@ - potentieller Meilenstein: Starlight
@@@@ - definitives Highlight: Highlight
@@@ - erfreuliche Delikatesse: Delight
@@ - solides Handwerk: Solidlight
@ - verzichtbarer Ausschuss: Nolight


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