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[ << | Inhalt | >> ]Ausgabe #574 vom 10.03.2008
Rubrik Feature

Quelle: http://www.germusica.com

Interview mit Willy DeVille

Peter Gruner: Hallo Willy, hier spricht Peter Gruner aus Deutschland.

Willy DeVille: Wo in Deutschland?

Erlangen, in der Nähe von Nürnberg. Du hast da ein paar mal gespielt, aber ich glaube nicht, dass es hier viel gibt, woran man sich erinnern könnte.

Willy DeVille: Das mag sein.

Das letzte mal als ich dich auf der Bühne sah - ich glaube es war 2006 - schien es, als hättest du Probleme mit deinen Beinen oder deiner Hüfte. Ich hoffe das ist jetzt besser...

Willy DeVille: Ja, ich hatte eine Operation, ich musste ins Krankenhaus. Sie haben mir den Hüftknochen rausgenommen und durch einen aus Metall ersetzt.

Klingt schlimm.

Willy DeVille: Ja, ein großer Spaß war's nicht gerade. Würde ich nicht unbedingt als Samstag- Abend-Unterhaltung empfehlen. Nicht mal wenn's regnet.

Okay, lass uns über etwas Erfreulicheres reden. Dein neues Album zu Beispiel. Hat der Titel "Pistola" irgendeine Bedeutung?

Willy DeVille: Ja, das ist Spanglisch, wie wir es nennen, ein Mix aus Spanisch und Englisch. Eine "Pistola" ist ein sehr hübsches Mädchen: Uuuh, sie ist heiß wie eine Pistole...

Verstehe. Die Rhythmus-Sektion ist die von Elvis Costellos Imposters, oder?

Willy DeVille: Ja, wir sind alle alte Freunde. Ich kenne Pete [Thomas] schon lange als Drummer von Costello und ich bewundere ihn wirklich, denn er hat's echt drauf.

Welchen Einfluss haben deine Musiker auf deine Musik?

Willy DeVille: Wie? Was?

Ich meine, wie weit bringen sich die Musiker in die Musik ein?

Willy DeVille: Nun, sie bringen ihre Fähigkeit zu spielen ein. Ich schreibe die Songs... (sehr gedehnt) ...ich singe die Songs... ich schaffe die Atmosphäre... ich arrangiere das Material... ich produziere das Material. Dann gehe ich mit dem Material auf Tour. Und da spielen wir es live. Und... ...ich hoffe wir sind professionelle Pistoleros! (lacht und hustet ausgiebig)

Wie ich gerade erst erfahren habe, hast du auch indianisches Blut in deinen Adern. Was für mich einiges erklärt: Das Artwork des Crow-Jane-Alley-Albums oder der Song "The Mountains of Manhattan" vom neuen Album. Beschäftigst du dich viel mit deinen indianischen Wurzeln?

Willy DeVille: Ja, auf eine religiöse Art.

Was bedeutet das in deinem Fall?

Willy DeVille: Schau, wir verehren ja nicht die Sonne. Wir verehren die Kraft dahinter. Verstehst du, was ich meine?

Ich denke schon.

Willy DeVille: Aber ich bin auch irisch und stolz drauf. Und französisch bin ich auch und auch stolz drauf.

Also mehr so'n universeller Typ.

Willy DeVille: Genau. Ich hatte mal ne Hündin, die hat mich so geliebt. Und sie war genau so: Jede Art von Hund war da drin. Ein kleiner schwarzer Hund mit Schnurrbart und Bob-Dylan-Frisur. Bob hat diesen Hund geliebt.

Ihr kennt euch?

Willy DeVille: Ja, wir sind sehr gute Freunde. Ich glaube, weil ich im [Greenwich-] Village gelebt habe. Bob hat um diese Zeit seinen Plattenvertrag bekommen. Wir haben uns öfter auf der Straße gesehen.

Aus dieser Zeit kennt ihr euch? Hast du seine Konzerte besucht?

Willy DeVille: Oh, ich war damals ja erst dreizehn oder so.

Hat er deinen Geschmack geprägt?

Willy DeVille: Geschmack? Was??

Ich meine, hat er dich musikalisch beeinflusst?

Willy DeVille: Meine Musik? Nun, Musik sollte sich gut anfühlen. Sie fühlt sich gut an, klingt gut und erschafft Poesie. Du nimmst einen Text und einen guten Rhythmus – einen sehr geilen Rhythmus um's mal so zu sagen – eine gute Melodie und eine Stimme, die sehr aufrichtig ist.

Okay... (einige Sekunden Ratlosigkeit)... Da ist wieder ein großer New-Orleans-Einfluss auf der neuen Platte. Diese schweren, funky Grooves...

Willy DeVille: Ach, New Orleans, das fühlt sich so schlecht an. Es hat mich bisher noch nicht wieder dorthin gezogen. Ich meine, ich könnte genauso gut rüber nach Europa kommen um dort zu leben. Kann ich zu dir kommen?

Was? Äh, klar, komm rüber. Meine Frau macht guten Kuchen.

Willy DeVille: Ne, im Ernst, New Orleans steckt echt in Schwierigkeiten. Jeder will helfen und steht dann doch nur im Weg rum... es ist schwierig.

Hast du noch Hoffnung? Ich finde dieser Song "And The Band Played On" ist schwer zu deuten.

Willy DeVille: Es geht um einen Mann, der von seiner Heimat wie von einer Frau spricht. So in der Art »das war das süße Leben, was hatten wir für ne prima Zeit, ich höre immer noch die Trompeten spielen«, dieses Ding, »aber ich weiß, eines Tages wird sie zurückkommen.« Das ist schwarzer Humor, das ist Poesie, verstehst du? Magst du die Art, wie ich rappe?

Klar. Du hast zwar eine ungewöhnliche Art zu rappen, aber das ist besser, als das meiste was man im Rap so hört, schätze ich.

Willy DeVille: Oh, dankeschön, aber es ist tatsächlich Rap.

Ein schöner Rap ist auch "Stars That Speak". Was hat dich dazu inspiriert?

Willy DeVille: Keine Ahnung. Ich mag gute Texte. Ich arbeite hart an meinen Texten. Und wenn ich die Texte von anderen singe, wie zwei Alben vorher dieses Bryan-Ferry-Cover...

"Slave To Love"...

Willy DeVille: ...dann versuche ich das so zu machen, dass der Verfasser stolz drauf wäre. Glaubst du nicht, dass man das so machen sollte?

Nun, ich denke das ist die einzig mögliche Art es zu machen. Wenn du's nicht so machst, ist die Musik leer.

Willy DeVille: (sehr leise) Ja. Ich hoffe Bryan ist stolz auch mich.

Ich glaube, das ist er.

Willy DeVille: Ich warte auf seinen Anruf. (lacht und hustet)

Was mich ja mit am meisten an deiner Musik fasziniert, ist der Umstand, dass alles was du machst diesen romantischen Touch hat, obwohl die Geschichten selber oft sehr hart und überhaupt nicht romantisch sind. Wie denkst du darüber, was ist Romantik für dich?

Willy DeVille: Ich glaube, im Grunde sehen wir die Realität durch einen Schleier. Ein Künstler ist geboren mit Augen und Ohren und einer Stimme, mit der er diesen Schleier durchbrechen muss. Wir können durch diesen Schleier hindurchsehen. Der Schleier lässt die Dinge anders erscheinen als sie sind. Das habe ich in einem Traum gehört.

In einem Traum?

Willy DeVille: Ja. Ich wusste schon immer, dass ich so eine Art Schamane in mir habe, aber ich war immer zu schüchtern, um darüber zu reden. Ich bekam also neulich Nacht Besuch in diesem Traum, mein Engel kam zu mir. Er hat nur einen Zahn.

Nicht gerade viel.

Willy DeVille: Nein, und er schaut zum Fürchten aus, sehr dünn. Sieht ein bisschen asiatisch aus, hat sehr lange Haare und ist gespickt mit rauchenden Stöckchen. Wenn er redet, dann redet er mit seinen Händen.

Also...

Willy DeVille: (lacht) Ich weiß, du hältst mich jetzt für einen Verrückten.

Nein, das nicht, ich habe bloß Schwierigkeiten, mit meinem Schul-Englisch all das richtig zu verstehen.

Willy DeVille: Aber ich rede doch sehr langsam, oder?

Oh ja, doch! Ich habe mal Elvis Costello interviewt, der hat geredet wie ein Wasserfall, da bin ich kaum nachgekommen.

Willy DeVille: Ja, ich lerne das gerade. Meine Frau, sie ist Schwedin, sie sagt mir immer: »Willy, man versteht dich nicht! Es geht nicht darum, schneller oder lauter zu reden. Du musst langsam sprechen!« Und sie hat Recht.

Schon seit deinem ersten Album kultivierst du ein sehr starkes Image: Immer cool, scharfe Klamotten, immer rauchend, ein bißchen zwielichtig, ein wenig gefährlich... Woher kommt das?

Willy DeVille: Die Leute stellen sich diese Dinge halt vor. Das ist meine Bühnen-Persönlichkeit. Ich will ja nicht für einen Roadie gehalten werden. Was soll ich denn sonst anziehen? Ein T-Shirt? (lacht) Yeah, ich zieh'n T-Shirt an.

Oh, ich kritisiere das nicht, es interessiert mich nur.

Willy DeVille: Ja klar, weiß ich doch. Es ist nur... mein Publikum verdient es, dass ich es ein wenig näher heranlasse. Wir sind jetzt alle ein bisschen älter, reif genug für das wirklich gute Zeug.

Ich weiß, es ist schwer, aber kannst du versuchen zu beschreiben, wie du dich auf der Bühne beim Singen fühlst?

Willy DeVille: Ja... nein, das kann ich nicht, dafür gibt es keine Worte. Ich wünschte ich könnte dir das sagen. Vielleicht ein bisschen wie ein Vogel... Klingt jetzt sehr blumig, aber das wäre vielleicht ein Ausdruck dafür. Weißt du, es gibt ja nicht nur den Sänger. Es gibt auch den Songschreiber und die Bühnenperson. Es gibt das Arrangement und du schnürst das alles in ein Paket. Und man muss das grundsätzlich alles leben. Du kannst nicht besser als echt sein. Ich denke diese Momente, diese ganz, ganz stillen Momente sind die besten.

Deine größten Fans sind ja eher hier in Europa als in den USA. Hast du dafür eine Erklärung?

Willy DeVille: Da fragst du mal besser Bob Dylan oder Van Morrison oder Tom Waits. Ich glaube nicht, dass es an uns liegt. Eher an der amerikanischen Öffentlichkeit.

Was stimmt mit der nicht?

Willy DeVille: Hör mal Radio, dann weißt du's. Schau dir unsere Charts an, dann weißt du, was ich meine. Das ist wirklich Bullshit. Die verstehen halt einfach gar nichts, weiß du? Die wollen immer nur berühmt sein, sie wollen keine Künstler sein.

Irgendwie lösen sie sich auch von ihren eigenen Wurzeln, oder? Schließlich seit ihr, also du und Dylan oder Tom Waits, sehr tief in der amerikanischen Tradition verwurzelt.

Willy DeVille: Ja, genau! Und die nächste Generation, die, die wir jetzt haben... ach, ich will nichts Schlechtes sagen. Ich muss aussteigen aus diesem Spiel.

Wie gehst du eigentlich mit der modernen Welt um? Ich meine, ich kann mir dich schwer vor einem Computer vorstellen...

Willy DeVille: Nun, ich habe sehr viel Glück, ich benutze keinen Computer. Ich benutze das Telefon. Ich gehe viel spazieren. Ich besuche Cafes. Ich fühl mich überhaupt nicht wie ein Teil dieses Jahrhunderts. Aber ich hab mich auch nicht dem letzten Jahrhundert zugehörig gefühlt. Es ist schwierig, weißt du. Aber ich fühle definitiv, dass die Dinge schneller und schneller und schneller und schneller werden, sodass ich manchmal denke, ich bin etwas bequem geworden. Aber wenn ich auf die Straße gehe und höre all das Gepiepse, dann kann ich mir vorstellen, wie sich viele bei der letzten Jahrhundertwende gefühlt haben müssen. Ich sehe da eine Verbindung zwischen der Baby-Boomer-Generation der Fünfziger, Sechziger und Siebziger Jahre und dieser neuen Generation, die jetzt dreißig ist. Je nachdem wie alt du bist, musst du Respekt vor den Älteren haben, du musst etwas von ihnen lernen, ihnen zuhören.

Was hast du den Jüngeren zu sagen? Ich weiß, das klingt jetzt dämlich...

Willy DeVille: (lacht) Ich weiß nicht. Ich glaube ich habe ihnen genausowenig zu sagen, wie sie mir was zu sagen haben. Ich hoffe bloß, sie verzapfen keinen Mist. Verlasse das Haus so, wie du es vorgefunden hast.

Glaubst du, es gab mal eine Zeit, in der du dich besser aufgehoben gefühlt hättest?

Willy DeVille: Schwer zu sagen, ich lebe ja immer nur jetzt. Aber ich kann definitiv sagen, dass sich die Zeit in der wir leben sehr seltsam anfühlt. Ab dem Jahr 2001 wurde alles erheblich schneller, alles kostet mehr, alles wird immer mehr und mehr... Und die Menschen werden unsensibler, suchen aber nach Wegen wieder mehr zu fühlen. Sie suchen nach etwas, was ihre Endorphine wieder auf Trab bringt.

Dein Leben war ja auch abgesehen davon nicht gerade einfach. Die Drogensucht, der Verlust von Freunden wie Doc Pomus oder Jack Nietzsche, der Tod deiner Frau... Wie haben dich diese Ereignisse geprägt? Bist du immer noch Optimist?

Willy DeVille: Oh ja! Absolut! Die Hoffnung ist doch alles, was uns bleibt! Ich gebe nicht auf. Wir geben nicht auf. Weißt du, alles was Jack oder Bob oder welcher Künstler auch immer getan haben – ich bin mir sicher, sie tun all das, um diese Welt zu einem besseren Ort zu machen. Um irgendjemanden ein »Wow! Was hat der da gesagt?!« zu entlocken. Dylan hat mal was gesagt, was ich jahrelang nicht verstanden habe. Klingt wie »Pump don't work, 'cause the vandals took the handles«. Die Griffe? Die Vandalen haben die Griffe geklaut? Was soll das bedeuten?

Keine Ahnung.

Willy DeVille: Ich meine, das ist lustig, oder? Ich muss schon sagen, Bob hat mir eine Menge Freiheit gegeben mich selbst auszudrücken. Oder jeder Mentor den ich hatte, wie Doc Pomus oder Jack Nietzsche, all diese Leute haben mich wie jemand Gleichwertigen behandelt. Und das war echt nett, nicht so nach dem Motto »Wer ist denn dieser Typ?«. Und sie fanden es phantastisch, dass ich so an dieser Musik interessiert war, an jeder Art von Musik. Das waren gute Zeiten, Zeiten von Rock'n'Roll und Spaß.

Für dich muss das ja wie ein wahr gewordener Traum gewesen sein, mit diesen Leuten, deren Fan du warst, zusammenarbeiten zu können...

Willy DeVille: Absolut! Doc Pomus war lustig. Der hat mir immer, egal was ich ihn gefragt habe, eine gegenteilige Antwort gegeben. Einmal, als wir zusammen an "Le Chat Bleu" gearbeitet haben, bin ich zu ihm hin und fragte ihn »Hey Doc, als du 'On Broadway" und "Up On The Roof" und diese Sachen gemacht hast, hast du dir da gedacht, ich will sowas wie "Westside Story"? Ich will französische Streicher, ich will Technicolor, ich will Gewalt und Leidenschaft, Liebe und Hass und all das?« Und er hat gesagt (immitiert Doc Pomus nasalen Singsang): »Ah Babe, Tommy Dowd hat diese Arrangements geschrieben. Wir haben jeden beklaut, jeden. Wir haben sogar Tschaikowsky-Overtüren geklaut!« (singt ein klassisches Intro).

Klauen tun doch alle.

Willy DeVille: Ich sag dir was: Es gibt nichts Neues unter Sonne. Außer den Unfällen, die funktionieren. Aber warte mal, Moment... (einige Sekunden Stille) Mein Agent hat mir ein Zeichen gegeben.

Oh, wir sind über der Zeit.

Willy DeVille: Ja, wir tratschen wie zwei Frauen...

Okay, noch eine letzte Frage: Rauchen ist heute so gut wie überall verboten. Ist das ein Problem für dich?

Willy DeVille: Yeah! Also ein bisschen Angst macht mir das schon. Amerika ist zwar noch nicht wirklich totalitär, aber es geht in die Richtung. Okay, noch sind wir hier, die Generation der Sechziger, und wir stehen auf und machen das Maul auf. Ich meine, wenn du dir jetzt eine Kugel durch den Kopf jagen wolltest, dann würde ich schon versuchen, dir das auszureden. Aber letztendlich ist es deine Sache.

Hoffentlich. Gut, vielen Dank für deine Zeit!

Willy DeVille: Oh ja, meine Frau kommt gerade rein um mich daran zu erinnern, dass ich noch vier Interviews geben muss. Und danach muss ich zum Zahnarzt.

Ach du meine Güte. Na dann, viel Glück!

Willy DeVille: (lacht) Danke! Wir sehen uns dann drüben! (auf deutsch) Auf Wiedersehen!

(In Auszügen zuerst veröffentlicht in den Nürnberger Nachrichten) [pg]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


Permalink: http://schallplattenmann.de/a116673


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