Hinweis: Ihr Browser unterstützt nicht alle grundlegenden Web-Standards, und deshalb sehen Sie diesen Hinweis und das Layout nur in Auszügen. Bitte verwenden Sie einen aktuelleren Browser.

Keine Anzeige
LogoSeit 1996: Aktuell und unabhängig!

[ << | Inhalt | >> ]Ausgabe #604 vom 27.10.2008
Rubrik Texte - lesen oder hören

Wolfram Fleischhauer "Der gestohlene Abend"

H̦rbuch РCampus-Flair, Professor mit Nazi-Vergangenheit, ein verbrannter Student und eine gesțrte Liebschaft
(5CD; Steinbach)

Mein guter Freund Thomas, studierter Philosoph und Kreativdirektor, kennt das schon: Im Mai hat er Geburtstag, ich kein Geschenk für ihn. Das kommt im Laufe des Jahres, wenn ich über etwas Sensationelles stolpere. Und mit "Der gestohlene Abend" bin ich mir sicher den Coup für seinen diesjährigen Geburtstag gelandet zu haben.
Der mir zuvor unbekannte Autor Wolfram Fleischhauer (*1961) hat Literatur in Deutschland, Frankreich, Spanien und an der University of California studiert. Heute pendelt er als Konferenzdolmetscher zwischen Brüssel und Berlin, wie sein Verlag informiert. In seinem sechsten Roman "Der gestohlene Abend" belebt Fleischhauer seine US-amerikanische Unizeit Ende der 1980er Jahre:
Matthias ist Literatur-Student und bekommt ein Stipendium an der Hillcrest University in Kalifornien. Er verliebt sich in eine Mitstudentin namens Janine. Und sie sich in ihn. Janine trennt sich von ihrem Freund David. David sucht daraufhin immer wieder das Gespräch zu Matthias. Doch Matthias traut dem Braten nicht: Will David über den gemeinsamen Kontakt Janine verunsichern? David ist im selben Literatur-Seminar wie Matthias. Ihre Dozentin steht kurz vor der Habilitation. Und zwar über ihren einstigen Mentor, Professor de Vander, der aus den Niederlanden eingewandert und Anfang der 1980er Jahre verstorben war.
Professor de Vanders sprachwissenschaftlich-philosophisch angehauchte Sprachtheorie ist radikal: Da wir als Menschen keinen freien Willen haben, können wir mit unserer Sprache auch nichts Eigenes artikulieren. Sprache ist damit bloße Oberfläche aus Graphen und Phonemen, die in einem Kontext so verstanden wird, in einem anderen eben anders. Es ist zwar nicht egal, was wir sagen, aber eben auch nicht verlässlich. Konsequent durchdacht heißt das: Niemand darf für seine Worte zur Rechenschaft gezogen werden, so de Vander.
Matthias ahnt schon früh, dass die an der Uni hippe, aber merkwürdig verkrampfte Theorie nicht sein Ding ist; dann verblüfft ihn, das seine Dozentin blass wird, als er ihr berichtet, dass David ihm niederländische Nazi-Propaganda aus dem 2. Weltkrieg zur Übersetzung gegeben habe. Wenig später ist David tot, verbrannt im de-Vander-Archiv der Universität.
Matthias beginnt selbst zu recherchieren, ob de Vanders Theorie nicht ein persönliches Problem für den Professor hatte beseitigen sollen, nämlich für Worte aus seiner niederländischen Vergangenheit nach dem Krieg nicht mehr zur Rechenschaft gezogen zu werden. Eine spannende Recherche-Tour durch Europa beginnt.
Warum sollte ich diesen Campus-Roman, der von Alexander Weise auf fünf CDs gut gelesen wird, meinem Freund Thomas schenken? Drei Gründe: Viele philosophische Seminargedanken sind hier äußerst spannend dargelegt, allen voran Ideen aus Platons "Der Staat", wir werden beim Kölsch daran anknüpfen. Zweitens: Auch die Theorie des fiktiven de Vander werden wir unter die Lupe nehmen, Hirnforscher würden hier, anders als Juristen, längst zustimmen. Drittens: Wir werden dann die Konstruktion des Romans diskutieren: Reichen die Zutaten für einen starken Roman? Von Fleischhauer bin ich nicht ganz überzeugt, vor allem was den Tod Davids angeht. Aber der Coup ist: "Der gestohlene Abend" lohnt die Diskussion. [vw: @@@@]


@@@@@ - potentieller Meilenstein: Starlight
@@@@ - definitives Highlight: Highlight
@@@ - erfreuliche Delikatesse: Delight
@@ - solides Handwerk: Solidlight
@ - verzichtbarer Ausschuss: Nolight


Permalink: http://schallplattenmann.de/a117485


(cc) 1996-2016 Einige Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist unter einem Creative Commons Namensnennung-NichtKommerziell-KeineBearbeitung Lizenzvertrag lizenziert. Um die Lizenz anzusehen, gehen Sie bitte zu http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/.

http://schallplattenmann.de/artikel.html
Sprung zum Beginn der Seite