Hinweis: Ihr Browser unterstützt nicht alle grundlegenden Web-Standards, und deshalb sehen Sie diesen Hinweis und das Layout nur in Auszügen. Bitte verwenden Sie einen aktuelleren Browser.

Keine Anzeige
LogoSeit 1996: Aktuell und unabhängig!

[ << | Inhalt | >> ]Ausgabe #606 vom 10.11.2008
Rubrik Texte - lesen oder hören

Peter Eckhart Reichel / Alfred Jarry "Ubu Rex Saxonia"

H̦rspiel РHerr Ubu putscht sich zum K̦nig von Sachsen!
(2CD; Hörbuchedition Words&Music)

Schon einmal einen Theaterskandal mitgemacht? Bei der Uraufführung von Rolf Hochhuths "Wessies in Weimar" saß ich 1993 im Berliner Publikum und erlebte Geschrei zwischen Ossies und Wessies, hämisches Gelächter, flüchtende Leute, kurz: einen politischen Theaterskandal. Raymond Federman, einst enger Freund Samuel Becketts, erzählte mir immerhin wie es war, als vierzig Jahre zuvor, 1953 in Paris Becketts "Warten auf Godot" uraufgeführt wurde – natürlich mit einem Theaterskandal des Absurden.
Springen wir weitere 57 Jahre zurück, so kommen wir zum prickelndsten Theaterskandal dieser drei: Am 10.12.1896 hatte "König Ubu" von Alfred Jarry Premiere in Paris. Zum Auftakt schreit Herr Ubu schonmal "Merdre!" ('Schreiße!') – und weniger vulgär und sprachzersetzend wurde der Theaterabend nicht mehr. Die Handlung? Eine Faust in die Fresse des Publikums: Der gewissenlose Ubu putscht sich gemeinsam mit seiner gewissenlosen Frau brutal zum König. Er bringt alle um, die ihm störend erscheinen, zockt die Untertanen grausam ab, bis er selbst gestürzt wird und flieht.
So etwas hatte das Theater noch nicht gesehen: Einfach nur versaut, vulgär, brutal und lüstern war dieser Ubu, und das als König? Das schrie nach Zersetzung und Aufruhr! Der Skandal war perfekt.
Der Hörspielproduzent und Autor Peter Eckhart Reichel hat seinen König Ubu nach Sachsen versetzt, wo er in naher Zukunft mit seiner sächsischen Frau die Macht an sich reißt und... wir wissen Bescheid, was passiert. Nur wie es passiert, das ist der Knüller: Reichel hat einige der besten Stimmen des Landes ins Studio geholt, um seinen "Ubu Rex Saxonia" zu einem berstenden Hörspiel zu machen: Erzähler ist der großartige Hans Teuscher, König Ubu der grandiose Andreas Mannkopf, Marie Gruber sächselt und wütet als Ubus Frau, Hilmar Eichhorn macht den Hauptmann Müller, Gerd Wameling den zu stürzenden König Kazimir, König Kazimirs Gemahlin ist die große Irm Hermann, und viele wären noch zu nennen, ich picke Roland Geiger raus, der als Filmproduzent des König Ubu einen Udo Lindenberg glänzend imitiert.
Klar, dass die Bearbeitung eines ehemaligen Theaterskandals heute keinen solchen mehr provoziert. Doch Peter Eckhart Reichel schafft es mit seinem Skript und seinem 5-Sterne-Personal hinreißende Komik zu erzeugen, bei der das Lachen im Halse stecken bleibt. Anders als viele Jarry-Nachfolger, die Ubus "Schreiße"-Vulgarität dazu benutzt haben, um auf der Bühne nackte, kotzende Schauspieler zu präsentieren, und die meinen, dass das Publikum damit aufzuschrecken sei – nein, ich war bis zum Kopfschmerz gelangweilt von "Volpone", das Anfang des Jahres im Kölner Schauspielhaus so derb durchfiel!
Frage zum Schluss: Hat sich seit Jarrys Ubu politisch wirklich etwas geändert? [vw: @@@@@]


@@@@@ - potentieller Meilenstein: Starlight
@@@@ - definitives Highlight: Highlight
@@@ - erfreuliche Delikatesse: Delight
@@ - solides Handwerk: Solidlight
@ - verzichtbarer Ausschuss: Nolight


Permalink: http://schallplattenmann.de/a117544


(cc) 1996-2016 Einige Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist unter einem Creative Commons Namensnennung-NichtKommerziell-KeineBearbeitung Lizenzvertrag lizenziert. Um die Lizenz anzusehen, gehen Sie bitte zu http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/.

http://schallplattenmann.de/artikel.html
Sprung zum Beginn der Seite