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[ << | Inhalt | >> ]Ausgabe #629 vom 18.05.2009
Rubrik Feature

Interview mit Dota Kehr

»Ich finde medial eigentlich nicht statt«, sagt Dota Kehr, besser bekannt als 'Die Kleingeldprinzessin', die fast allein durch Mundpropaganda und Internet-Präsenz mit ihren 'Stadtpiraten' landauf, landab die Clubs füllt und sogar schon in Neuseeland und Russland aufgetreten ist.
Zweifellos gehören die Songs der 29-jährigen Berlinerin zum Besten, was der deutschsprachige Pop im Augenblick zu bieten hat. Ihre feinsinnig-poetischen und oft zeitkritischen Texte kombiniert mit einer luftigen Mischung aus Bossa-Nova, Reggae, Jazz, Pop und Chanson hat sie auf bisher vier brillanten Studio- und zwei Live-Alben veröffentlicht, wobei ihr jüngstes Werk "Schall und Schatten" getrost als vorläufiger Höhepunkt angesehen werden darf. Das Album ist das zweite, welches sie in Brasilien mit dortigen Musikern eingespielt hat. Neben dem Bassisten Rian Battista und dem Gitarristen Regis Damasceno, der das Album mit seinen filigranen Sounds sehr prägt, spielt auf einigen Stücken Priscilia Brigante Schlagzeug, die normalerweise beim brasilianischen Superstar Chico César trommelt. Den lernte Dota nach einem Konzert in Berlin kennen und seitdem ist man in regem Austausch. Auf dem Album covert Dota Césars "Do Além" und bei "Á Primeira Vista - Auf den ersten Blick" singen sie ein bezauberndes Duett in Deutsch und Portugiesisch. Außerdem hat Chico auf seinem eigenen Label in Brasilien ein Best-of-Album von Dota Kehr veröffentlicht.
Wir sprachen mit Dota Kehr kurz vor ihrer gerade laufenden Deutschlandtour, die sie zusammen mit ihrer Band Die Stadtpiraten kreuz und quer durch die Republik führt (siehe Webseite).

Peter Gruner: Die neue Platte klingt weniger brasilianisch als die, die du in Deutschland aufgenommen hast. War das Absicht?

Dota Kehr: Nein. Ich finde das sowieso gut, wenn man mit Klischees bricht. Und es muss ja nicht jeder Brasilianer, nur weil er Brasilianer ist, Samba und Bossa spielen. Regis [Damasceno, Gitarrist auf der neuen CD] zum Beispiel mag Bossa überhaupt nicht. Wir haben die Sachen einfach so arrangiert, wie sie uns in den Sinn gekommen sind.

Woher kommt eigentlich deine Liebe zu Brasilien?

Dota Kehr: Ich hatte als Kind einen brasilianischen Babysitter, mit dem hab ich mich sehr gut verstanden. Leider ist er gestorben als ich zehn oder neun war. Ich hatte eine Kassette von ihm mit brasilianischer Musik, die ich sehr viel gehört habe nach seinem Tod: Ellis Regina singt Stücke von Jobim. Diese Musik habe ich sehr geliebt. Ich wollte schon immer die Sprache lernen und nach Brasilien reisen, was dann 2003 endlich geklappt hat, nachdem ich dort ein Stipendium bekommen habe. In Fortaleza habe ich eine Platte mit Danilo Guilherme aufgenommen, "Mittelinselurlaub". Der Gitarrist dieser Platte, Regis Damasceno, den ich sehr schätze, ist später von Fortaleza nach São Paulo gezogen. Mir war klar, dass ich da wieder hin wollte und Regis hat mich eingeladen in São Paulo bei ihm zu wohnen. Also habe ich mir wieder so ein Praktikum organisiert für die Uni. Ich hatte schon einige Stücke geschrieben in Hinblick darauf, dass ich dann wieder mit Regis zusammenspielen würde.

Deine Texte sind sehr detailverliebt. Verbringst du viel Zeit mit Beobachten?

Dota Kehr: Ja, das mach ich sehr gerne und sehr viel. Auch wenn ich nicht viel davon in meine Texte übernehme, so schreibe ich doch viel Beobachtetes auf und irgendwie findet es dann seinen Weg...

Du schleppst also immer ein kleines Notizbüchlein mit dir rum?

Dota Kehr: Ein großes Notizbüchlein!

Man hat so dieses Bild von dir, wie du auf deinem Fahrrad durch Berlin kurvst...

Dota Kehr: ...und ab und zu setze ich mich hin und schreib was auf. Das Bild ist nicht so verkehrt.

In wenigen Tagen beginnt eure Tour, die diesmal ja ziemlich monströse Ausmaße hat. Wie schützt du dich vor der Routine?

Dota Kehr: Es ist schon eine große Herausforderung, das alles frisch zu halten, wenn man so viel spielt. Wichtig ist, immer was Neues zu schreiben. Ich finde nur ein einziges neues Lied im Programm macht auch die anderen Stücke wieder viel frischer.

Kennst Du keine Schreibblockaden?

Dota Kehr: Doch. Schon nach dem ersten Stück, das ich geschrieben habe, habe ich gedacht... (holt Luft)... ich werde nie wieder ein Lied schreiben können, mir wird nie wieder was einfallen! Das denke ich immer, wenn ich zwei Wochen, zwei Monate, drei Monate nichts geschrieben habe. Letztes Jahr habe ich fast sechs Monate gar nichts geschrieben und einfach versucht, mir darüber keine Sorgen zu machen. Irgendwann kommen die Lieder dann schon wieder.

Wie schreibst du? Eher impulsiv oder tüftelst du lange herum?

Dota Kehr: Ich lasse beides zu. Das Impulsive, also innerhalb einer halben Stunde einen super Text hinschreiben, das passiert einfach selten. Und darauf kann man ja nicht warten. Nicht wenn man davon leben möchte und das möchte ich sehr gerne.

Kannst du dieses ganz disziplinierte Schreiben à la Reinhard Mey?

Dota Kehr: Nein. Das möchte ich auch gar nicht. Ich möchte möglichst absichtslos schreiben. Ich möchte gar nicht im Hinterkopf haben, dass ich das Lied vor Publikum spielen und auf Platte aufnehmen werde, sondern das Stück um des Stückes Willens schreiben. Es gibt viele Stücke, die ich nie öffentlich gespielt habe. Das Aussortieren kommt später, damit möchte ich mich beim Schreiben nicht beschäftigen.

Du klingst in deinen Liedern oft melancholisch, zweifelnd. Spiegelt das deine Grundhaltung wieder?

Dota Kehr: (Lacht) Ja! Ich bin eigentlich ein großer Pessimist. Meine Grundeinstellung, gegen die ich schwer was machen kann, ist, dass eigentlich alles immer schlechter wird. (Kichert) Insbesondere meine Fähigkeiten und die Welt im Allgemeinen.

Wirklich? Du zweifelst an deinen Fähigkeiten?

Dota Kehr: Ja, schon seit ich zehn bin.

Aber eigentlich spricht doch alles dagegen. Du bekommst doch ziemlich viel Anerkennung. Oder bedeutet dir das nichts?

Dota Kehr: Ich glaube, dass da trotzdem etwas ist, was sich in einem ständigen Verfall befindet. Und das habe ich schon in meiner Kindheit geglaubt.

Na gut, stimmt ja auch, am Ende sind wir tot und zerfallen und liegen in irgendeiner Kiste und verrotten...

Dota Kehr: Ja klar, aber das ist nichts was ich groß betrauere, sondern was ich einfach als Grundhaltung angenommen habe und so hinnehme.

Wann hast du angefangen mit Songschreiben?

Dota Kehr: 2002. Ich hab auch erst 2000 angefangen Gitarre zu spielen. Total spät, oder?

Wie bist du dazu gekommen?

Dota Kehr: Ich habe damals schon in einer Rockband gespielt, allerdings Saxophon. Ich mochte das Musik machen in einer Band wahnsinnig gerne, und war unglaublich traurig, als sich die Band aufgelöst hat. Ich war überzeugt, dass ich nie wieder Musik machen würde. Damals habe ich angefangen mir Gitarre beizubringen. Und dachte mir, wenn mich keine Band nimmt – ich weiß nicht warum ich das dachte –

...weil alles immer schlimmer wird...

Dota Kehr: Genau. Und weil ich alles viel schlechter kann als vorher. Jedenfalls habe ich dann eigene Stücke geschrieben, Musiker gesucht...

Und wann war deine berühmte Straßenmusiker-Zeit?

Dota Kehr: Das war genau dann, in dieser Phase, als ich angefangen habe Gitarre zu spielen. Da braucht man ja nicht mehr als zehn Akkorde.

Ich finde das trotzdem ganz schön mutig. Auf der Straße zu spielen ist doch das Härteste überhaupt.

Dota Kehr: Ja, das braucht auch eine bestimmte Art von Mut. Die Überwindung sich hinzustellen und zu singen braucht viel Mut und ein dickes Fell.

Was hast du in dieser Zeit gelernt?

Dota Kehr: Leute dazu zu bringen, dass sie dir zuhören. Das ist echt schwierig in so einer Situation, weil man ja vor Leuten spielt, die das echt nicht wollen.

Vor allem weil du ja auch recht leise singst.

Dota Kehr: Nein, damals habe ich ja nur zwei von meinen eigenen Stücken gesungen, ansonsten nur Cover, die man laut spielen kann.
Wie gesagt, das ist schon eine Herausforderung. Aber irgendwie härtet das auch total ab gegen die Ablehnung des Publikums. Ich glaube dagegen ist keiner vollständig abgehärtet, das braucht man gar nicht zu behaupten.

Was hast du gecovert?

Dota Kehr: Elliott Smith, den ich sehr gern mag, Tracy Chapman, Police, Stevie Wonder – ich glaube das war unser Programm. Unser sage ich, weil ich mit einer Freundin zweistimmig gesungen habe.

Hast du von Anfang an deutsch getextet?

Dota Kehr: Nein, ich habe erst ein bisschen rumprobiert. Für die Rockband habe ich auch englische Texte probiert, aber das war ganz furchtbar. Da habe ich mich gefragt: Was will ich denn eigentlich sagen? Nichts! Dann habe ich eine Zeit lang auf spanisch getextet. Aber dann bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass man sich am wenigsten verstellt, wenn man in der Sprache singt, die man am besten kann.

Aktuelle deutsche Popmusik scheint dich allerdings wenig zu beeinflussen.

Dota Kehr: Ja, das höre ich relativ selten. Zum einen, weil ich ein sehr gutes Gedächtnis habe und dann die Texte anderer Leute im Hirn sind, was mich dann wirklich vom Schreiben abhält. Ich weiß nicht, es gibt schon viele Sachen, die ich mag, aber ich komme selten auf die Idee sie aufzulegen. Wen ich zum Beispiel sehr gerne mag ist Danny Dziuk, Element of Crime, Wir sind Helden. Auch die Liedermacher der Alten Schule: Degenhardt, Gerhard Schöne...

Haben deine Eltern viel Musik gehört?

Dota Kehr: Komischerweise sehr wenig. Mein Vater hört gerne Musik, meine Mutter so gut wie gar nicht. Höchstens mal in der Vorweihnachtszeit was Klassisches. Aber wir haben zu Hause schon viel Musik gemacht. Mein Vater spielt Klavier, meine Schwester studiert Fagott, meine andere Schwester hat früher Cello studiert.

Hast du ein Ziel vor Augen, was erträumst du dir?

Dota Kehr: Ich bin sehr zufrieden, wie es zur Zeit läuft. Wir spielen viele Konzerte, es kommen viele Leute zu den Konzerten, das ist sehr schön. Klar die Konzerte könnten noch etwas größer werden, aber ich träume nicht davon, riesige Hallen zu füllen. Aber ich würde mich total freuen, wenn mehr von mir im Radio laufen würde, weil ich Radio für ein tolles Medium halte. Es ist so abgelöst von der Person. Andererseits reizt es mich überhaupt nicht, im Fernsehen aufzutreten. Im Konzert ist das schön, unmittelbar und direkt, aber jede Art von Bildaufzeichnung mag ich nicht, da fühle ich mich so...

Ausgeliefert?

Dota Kehr: Ausgeliefert und beobachtet. Eigentlich geht es um die Musik und nicht um mich. Zumindest will ich nicht, dass es dabei um mich geht.

Du siehst dich also mehr als Medium für deine Songs?

Dota Kehr: Ich finde die Songs sollen für sich stehen. Wenn die Songs Erfolg haben, dann ehrt mich das, weil ich sie geschrieben habe. Aber die Lieder sollen im Mittelpunkt stehen. Und vielleicht haben die Leute, die sie hören, Verwendung für sie in ihrer Lebenswelt. [pg]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


Permalink: http://schallplattenmann.de/a118070


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