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[ << | Inhalt | >> ]Ausgabe #654 vom 30.11.2009
Rubrik Kolumne

Sal's Prog Corner #85

Ich hatte es ja bereits in meiner Einleitung zur letzten "Prog Corner" angemerkt: Ich dachte, das Prog-Jahr ist vorbei, da trudeln binnen weniger Wochen jede Menge 'Nachzügler' ein, die allesamt noch vor Jahresende veröffentlicht werden und besprochen werden wollen. Nun sind es so viele geworden, dass ich auch heute nur eine Auswahl präsentieren kann und ein paar der zuletzt eingetroffenen Nachzügler dann Anfang Januar 2010 besprechen werde.
Heute also Teil 2 der Prog-Spätlese 2009 und im neuen Jahr dann der (hoffentlich) letzte Nachschlag dieses dann doch recht ertragreichen Jahrgangs. Bis dahin wünsche ich erst einmal viel Vergnügen beim Lesen dieser Ausgabe und allen eine angenehme Adventszeit mit viel guter Musik: Keep on proggin'... [sal]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


Native Window "Native Window"

Melodic Rock – Kansas ohne Steve Walsh (und ohne Livgren): Die große Langeweile
(CD; InsideOut)

Kansas, das sind vor allem die Songs von Kerry Livgren und (in jüngerer Zeit) von Steve Walsh, dessen Stimme auch das Markenzeichen der Band ist. Was aber, wenn Livgren und Walsh in Zukunft nicht mehr für die Band schreiben möchten und die anderen (Billy Greer, b & voc; David Ragsdale, vl; Phil Ehart, dr; Richard Williams, g) noch Lust auf neues Material haben? Nun, man gründet flugs eine eigene Band (denn Kansas ist es ohne Walsh nun einmal nicht) und schreibt eigenes Material. Das kreative Ergebnis der 'schweigenden Mehrheit' von Kansas kann man sich nun auf dem selbstbetitelten Debüt-Album von Native Window anhören.
Und wie hören sich nun Native Window an? Sie klingen – wen wundert's? – nach einer etwas abgespeckten Version von Kansas. Billy Greer ist ein wirklich passabler Sänger und die Band überzeugt mit schönem Harmonie-Gesang. Das Problem der Scheibe sind die Kompositionen, deren Qualität einfach nicht über durchschnittliche Melodic-Rock-Nummern hinausreicht. Wer das 'gewisse Etwas' der klassischen Kansas-Alben – "Song For America" (1975), "Masque" (1975) und vor allem "Leftoverture" (1976) und "Point Of Know Return" (1977) – erwartet, muss von "Native Window" enttäuscht sein. Die radiotauglichen Nummern plätschern belanglos aus den Boxen und sind, kaum verklungen, schon vergessen. Gut gemacht ist das Album dennoch, aber eigentlich nur eine Empfehlung für all jene, die mit den Mainstream-Sachen von Kansas der 1980er und 1990er zurechtkommen oder sowieso gerne in purem Melodic Rock schwelgen. [sal: @@]


Ray Wilson & The Berlin Symphony Ensemble "Genesis Klassic - Live in Berlin"

Quelle: http://shop.raywilson.net/

Rock – Streichzartes Genesis-Surrogat
(CD; Sandport)

Auf Youtube habe ich mal einen bitterbösen Kommentar über Ray Wilson gelesen. Ihm wurde dort vorgeworfen, er schmücke sich mit fremden Federn und schlage aus der Tatsache, dass er für ein Album ("Calling All Stations", 1997) und eine Tournee bei den (geschrumpften) Genesis Sänger war, jahrelang Profit. In der Tat ist es auffällig, dass Wilson immer mehr und immer öfter mit altem Genesis-Material auf die Bühne geht und seine eigenen Songs brachliegen, weil letzten Endes nur Genesis-Fans bei seinen Konzerten auftauchen, die den alten Kram hören wollen. Also tritt Wilson mit dem Material in jedem kleinen Kaff auf, singt zigmal "Carpet Crawlers" und Co., mal akustisch, mal mit Band und neuerdings auch mit Band und Streichorchester. Bisher zeigte ich dennoch Sympathie für den Schotten, weil er wirklich ein guter Sänger ist und seine unterhaltsamen Shows immer wie angenehme Nostalgie-Trips wirkten.
Die neueste Idee der Genesis-Recycling-Fabrik Ray Wilson kann mich aber nicht überzeugen, das zugehörige Live-Album "Genesis Klassic" schon gar nicht. Zum einen finde ich die Arrangements der Streicher ideenlos und trivial und außerdem gehen die Streicher im Klangbrei der wenig feinsinnigen Band unter (oder wirken wie eine kitschige Untermalung). Zum anderen singt Wilson die Sachen routiniert, gelangweilt und relativ emotionslos runter. So langsam machen sich wohl auch bei ihm Abnutzungserscheinungen breit. Darüber hinaus ist die Songauswahl alles andere als glücklich. Wilson bleibt blass bei den markanten Collins-Nummern ("That's All", "Follow You Follow Me", "Turn It Again") und versaut dann auch noch Peter Gabriels "Solsbury Hill". Nein, das x-te Live-Album von Ray Wilson ist mit Abstand sein schwächstes, auch wenn alle Beteiligten sehr mit sich selbst zufrieden scheinen.
"Genesis Klassic" wird derzeit exklusiv auf der Homepage von Ray Wilson vertrieben. Dort gibt es auch genügend audiovisuelle Beispiele, um sich ein eigenes Bild vom Album zu bilden. [sal: @]


Pain Of Salvation "Linoleum EP"

Progmetal – Pain of Salvation melden sich zurück
(CD; InsideOut)

Eigentlich habe ich die letzten beiden Studioalben der schwedischen Progmetaller von Pain of Salvation hier zu hoch bewertet. Was mir anfänglich noch ganz gut ("BE", 2004) oder zumindest passabel erschien ("Scarsick", 2007) nervte und langweilte mich nach einigen Hördurchläufen immer mehr. Der erhobene Zeigefinger von Daniel Gildenlöw, der seine Musik immer wieder mit zu viel 'Message' überfrachtet, ging mir mit jedem Anhören mehr auf den Senkel. Rückblickend bewegten sich Pain of Salvation immer mehr in eine Sackgasse aus eigenem 'philosophischen Anspruch' und musikalischer Wahl- und Belanglosigkeit, dabei war ihr Markenzeichen einst das Grenzüberschreitende gewesen.
Nun melden sich die Schweden mit einer EP zurück und machen auf einmal wieder 'nur Musik'. Progmetal mit psychedelischen Einflüssen, düster, aggressiv, mal direkt heraus, mal experimentell, aber insgesamt dicht und kompakt und ohne Belehrungen wie zuletzt. Daniel Gildenlöw beweist, dass er ein guter Komponist und exzellenter Sänger ist, sogar beim Bonus Track "Yellow Raven", der Cover-Version einer alten Scorpions-Nummer (!). Und ich freue mich auf das kommende Doppel-Album "Road Salt", das Anfang 2010 erscheinen soll. [sal: @@@@]


Devin Townsend Project "Addicted"

Progmetal – Das zweite Album des Devin Townsend Project ist, wie versprochen, ganz anders
(CD; InsideOut)

Im Mai erst hatte Devin Townsend das erste, sehr gelungene Project-Album "Ki" veröffentlicht und bereits angekündigt, dass die nächste Scheibe ganz anders werden würde. Nun, er hat Wort gehalten: "Addicted" ist ganz anders geworden, leider aber alles andere als gelungen und das trotz prominenter Hilfe von ex-The-Gathering-Frontfrau Anneke van Giersbergen an den Vocals.
Mischte Townsend auf "Ki" noch munter Stile, die man normalerweise nicht zusammen hört, wechselte er auf "Ki" geschickt zwischen Tempi und Stimmungen, so kehrt er auf "Addicted" zu den einfachsten Strukturen des Metal zurück: Riffs, Riffs, Riffs, dazu Pathos, Keyboards und insgesamt ein wummernder, durchgängiger Rhythmus, der sowohl zum Headbangen, als auch zum Tanzen (!) einlädt. Abgegriffene 4/4-Takte für die Masse, dazu die seltsam profillos produzierte Stimme der van Giersbergen, und alles getaucht in schier unendlichen Hall. Das Album wirkt auf mich wie der missglückte Versuch eine Art Disco-Metal zu kreieren. Von der Komplexität, von der überraschenden Kreativität früherer Townsend-Alben ist auf "Addicted" wenig zu hören. Handwerklich ist das gut gemacht (weil es unüberhörbar so gewollt war), aber Spaß macht mir das Album trotzdem nicht. Macht nichts: Townsend & Co. arbeiten schon am Nachfolger "Deconstruction", der bestimmt nochmal 'ganz anders' werden wird. [sal: @@]


Bigelf "Cheat The Gallows"

Psychedelic Rock/Hardrock – Altmodisches aus L.A.
(CD; Powerage)

Rockfans der ersten Stunde sind im Grunde ihres Herzens sehr konservativ und alles andere als Rebellen. Seit Jahrzehnten werden da Idole hoch gehalten, die heute vielleicht noch touren, die aber ihre besten Zeiten mindestens 20 Jahre hinter sich haben. Neue Bands haben es bei ollen Rockern schwer, spätestens wenn die Klassiker ausgepackt werden, kann der Nachwuchs einpacken. 'Smoke on the Water forever', sozusagen.
Für Bands wie die Kalifornier von Bigelf ist das Fluch und Marktlücke zugleich: Ihr Sound ist unüberhörbar geformt von klassischen Rockbands der 1970er, vor allem Black Sabbath. Dazu addieren sie etwas psychedelische Ingredienzien à la Pink Floyd, den Glamour der frühen Queen und den Chorgesang der Beatles und voilà: Bigelf sind die perfekte 'klassische Rockband der 1970er' und waren doch damals (wie ich selbst) kleene Stöppkes, die heimlich die Rock-Platten des großen Bruders hörten. Und sie haben wirklich genau hingehört, denn Bigelf sind alles andere als ein schales Plagiat, sondern the real thing. Also, Rockfans aller Länder, zwängt euch noch einmal in die zu enge Lederjacke, stürmt den Plattenladen und kauft euch die neue Scheibe von Bigelf. Denkt euch einfach, es sei eine Band der Zeit, die ihr einfach noch nicht entdeckt habt. Die Illusion ist perfekt und die Scheibe rockt wie die großen Alben der goldenen Ära. [sal: @@@]


Izz "The Darkened Room"

Quelle: http://izznet.com/

Progressive Rock – Ãœberzeugende Rückkehr
(CD; Doone)

Ihr 2002 erschienener Zweitling (!) "I Move" ist das Album, an dem man Izz immer messen wird, denn was die New Yorker auf diesem Album versprachen, haben sie auf den folgenden Alben (bewusst?) nicht eingelöst. Sie sind nicht die neuen Spock's Beard geworden (Prog sei's gedankt!) und sie sind auch nicht die großen Innovatoren des Progressive Rock geworden. Sicher, auf dem Minialbum "Ampersand Vol. 1" (2004) und dem letzten regulärem Studioalbum "My River Flows" (2006) blitzte immer wieder etwas von der Genialität der Band auf, insgesamt konnte die Band mich allerdings nicht überzeugen und so rechnete ich damit, dass Izz von Album zu Album ein wenig mehr in die Belanglosigkeit rutschen würden. Ich bin hocherfreut darüber, dass sie mich jetzt Lügen strafen.
"The Darkened Room" ist vom Klang her kein Nachfolger des experimentellen "I Move" geworden. Izz 2009 sind deutlich konventioneller im Sound (will sagen, deutlich mehr 'retro') als 2002, der Anteil an 'alten Klängen' hat zugenommen, was allerdings dem Gesamtsound zugute kommt. Dennoch ist "The Darkened Room" alles andere als nur 'ein weiteres RetroProg-Album' geworden. Dazu tragen vor allem die abwechslungsreichen und eben nicht 'altmodischen' Kompositionen bei, die in eine Retro-Produktion eingeflochten wurden. Dazu kommen dann die schönen Gesangslinien und Chöre, die sich Tom und John Galgano mit der hinreißenden Anmarie Byrnes teilen und (last but not least) die ungewöhnlich groovige Rhythmus-Sektion mit zwei Drummern (Brian Corelian und Greg DiMiceli) und dem exzellenten Bassisten (John Galgano).
"The Darkened Room" ist ein sehr gut aufgebautes, detailreiches und unverwechselbares Prog-Album geworden; eines der besten, die dieses Jahr überhaupt erschienen sind. [sal: @@@@]


Marillion "The Singles '82-'88"

Neoprog – Die Singles der Fish-Ära, kompakt auf drei CDs
(3CD; EMI)

Marillion mit Fish und kein Ende: Nur kurze Zeit nach der (Wieder-) Veröffentlichung der klassischen Marillion-Live-Alben "Recital Of The Script", "The Thieving Magpie" und "Live From Loreley" – alle drei mit Frontmann Fish, der die Band 1988 im Streit verlassen musste – wurde nun alle Singles und Maxis samt B-Seiten in der preisgünstigen Box "The Singles '82-'88" wiederveröffentlicht. Die Sammlung enthält alle Stücke aller Marillion-Singles der Jahre 1982-1988, darunter jede Menge B-Seiten, Raritäten, Remixe und Single-Edits, die sich teilweise erheblich von den Album-Fassungen derselben Lieder unterscheiden.
Anders als bei früheren Ausgaben der Singles-Box hat man dieses Mal darauf verzichtet, die Singles einzeln auf jeweils eine CD zu pressen, stattdessen kommen die Singles in chronologischer Reihenfolge auf 3 CDs hintereinander. Das spart Platz im Regal und Geld im Portemonnaie. Wem es nur um die rare Ware geht, der kann auch hier getrost zugreifen, doch Obacht: Die allermeisten Tracks der Sammlung wurden bereits als Bonus Tracks auf den remasterten Doppel-CD-Editionen der EMI-Alben veröffentlicht. Trotzdem: "The Singles '82-'88" ist besser als viele Best-of-CDs der Band und gar kein schlechter Einstieg in die frühen Jahre der Briten. [sal]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


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