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[ << | Inhalt | >> ]Ausgabe #672 vom 03.05.2010
Rubrik Kolumne

Sal's Prog Corner #88

»Komm, lieber Mai, und mache die Bäume wieder grün...« – jaha! Der Mai ist da, der Frühling endlich auch und, als ob das nicht genug wäre, eine neue Ausgabe der Prog Corner mit ganz und gar unfrühlingshafter Musik. Von wegen der Balance im Weltall und so: Keep on proggin'... [sal]


Fitzcarraldo "Lass sein was ist"

Postrock – Rockende Postrocker
(CD; BaxxBeat)

"Fitzcarraldo" war ein genialer, verstörender und einzigartiger Film von Werner Herzog mit Klaus Kinski in der Hauptrolle des Brian Sweeney Fitzgerald, der die wahnwitzige Idee hat, im Dschungel ein Opernhaus zu bauen; Fitzcarraldo sind auch ein Quartett aus Aschaffenburg, dass sich dem Postrock verschrieben hat und mit "Lass sein was ist" das zweite Album (nach dem Debüt "Herbst", 2007) vorlegt.
Der deutsche Name des Albums und die Songtitel ("Treibjagd", "Momentaufnahme", "Dämonen in uns", "Du bist die Hoffnung, ich bin der Abgrund" usw.) sind irreführend, was die sprachliche Ausrichtung der Band betrifft: Außer ein paar Sprach-Samples und einigen rezitierten Passagen, sprechen auf "Lass sein was ist" lediglich die Instrumente (wie ja auch nicht unüblich im Postrock). Selbst wenn man sich nur marginal mit diesem Genre beschäftigt (wie ich) fällt bei Fitzcarraldo auf, dass ihr Sound deutlich 'dreckiger' und aggressiver ist, als bei den üblichen Szenegrößen: Sie variieren deutlich mehr Tempo und Lautstärke der Songs als andere Bands im Sektor. Wird üblicherweise im Postrock nahezu graphisch von ganz leise nach ganz laut aufgebaut, so geht dieses Schema bei Fitzcarraldo-Stücken nicht immer auf, das macht das Album ein gutes Stück abwechslungsreicher.
"Lass sein was ist" ist ein hochinteressantes Album für jene geworden, die normalen Postrock zu gleichförmig und profillos finden. Anspieltipp: "Treibjagd". [sal: @@@]


Steve Thorne "Into The Ether"

Singer-Songwriter meets Prog – Thorne etabliert seinen Sound
(CD; Festival Music)

Als Steve Thorne 2005 mit "Emotional Creatures Part One" debütierte, war die Ãœberraschung groß: Da kombinierte einer Progressive Rock mit dezidierten Song-Strukturen mit guten Texten und einer angenehmen Stimme und kreierte einen so noch nie gehörten 'Singer/Songwriter-Prog'. Dass das Album mit einem massiven Star-Aufgebot der Szene eingespielt wurde – unter anderem mit Tony Levin (King Crimson, Peter Gabriel), Nick D'Virgilio (Spock's Beard) und Gary Chandler (Jadis) – war zumindest kein Verkaufshindernis, doch "Emotional Creatures Part One" überzeugte, genauso wie der ähnlich gestrickte Nachfolger "Part Two: Emotional Creatures" (2007), vor allem durch Thorne selbst, der einfach gute Songs schreiben kann.
Schon vor einigen Monaten ist Thornes drittes Album "Into The Ether" erschienen und es ist eine Art 'Emotional Creatures, Part 3' geworden: Am Rezept hat sich nicht viel geändert, warum auch? Einmal mehr mit illustren Gästen eingespielt – zu den oben genannten gesellen sich Pete Trewavas (Marillion), Gavin Harrison (Porcupine Tree) – bietet das Album mehr oder minder den selben Sound wie die Vorgänger und dasselbe hohe Niveau in Sachen Songwriting. Besonders die erste Hälfte des Albums ist vielleicht sogar das Stärkste, was ich von Thorne jemals gehört habe, danach flacht das Album ein wenig ab und es machen sich zunehmend unangenehme Achtziger-Keyboards bemerkbar, gespielt von John Beck (It Bites, Kino), die in der ansonsten makellosen Produktion etwas störend wirken. Freilich, wer mir dreimal dasselbe vorsetzt, kann spätestens beim dritten Mal nicht dieselbe Punktzahl erwarten, auch wenn es sich auf einem ähnlichen Niveau bewegt. Ein erfreuliches Album ist es aber trotzdem: Thorne hat seinen Sound etabliert. Gute Alben sind auch weiterhin von ihm zu erwarten, große Ãœberraschungen werden aber wohl ausbleiben.
Die Scheibe ist bei den großen CD-Versendern gar nicht so leicht zu kriegen, wohl aber beim Label oder bei den üblichen Prog-CD-Spezialisten. [sal: @@@]


Paul Cusick "Focal Point"

New Artrock – Porcupine Tree meets Pink Floyd (auf Facebook und anderswo)
(CD+MP3; Q Rock)

Seit Wochen nervte mich auf Facebook eine Anzeige zum Debütalbum "Focal Point" von Paul Cusick: »Porcupine Tree meets Pink Floyd? That is what fans are saying about Paul Cusick's début album Focal Point. Hear it now.« 'Aha', dachte ich mir, 'wieder mal einer, der mit großen Namen Werbung zu machen versucht'. Schließlich wurde ich doch neugierig und lud das Album herunter, kostenlos als 'Testversion' in bescheidener 128-kbps-MP3-Qualität – und war mehr als angenehm überrascht: Cusicks Debüt ist tatsächlich eine Mischung aus Porcupine Tree ("Lightbulb Sun"-Phase) und Pink Floyd (gerade bei den Balladen). Hinzu kommen etwas weniger greifbare Einflüsse von Peter Gabriel. Der Multi-Instrumentalist Cusick überzeugt auf "Focal Point" durch gut komponierte Songs, ordentliche Texte und eine stimmige, absolut professionelle Produktion: Dies ist nicht das Album eines Anfängers oder Amateurs! Cusick arbeitete seit Jahren als Berufsmusiker, was man dem Album anhört. Das Ergebnis ist ein überdurchschnittlich gelungene Scheibe, die stilistisch dem modernen Mainstream-Sektor in der Progressive-Rock-Szene zuzuordnen ist. Wer daran nichts Ehrenrühriges findet (und warum sollte man das?), der wird an "Focal Point" gewiss Freude haben.
Das Album ist theoretisch auch beim großen Versender zu finden, deutlich günstiger gibt es das allerdings auf der Seite Cusicks, wo man das Album außerdem vollständig anhören und in einer Testversion herunterladen kann. Wer die CD auf seiner Homepage erwirbt, der erhält das Album zusätzlich als Qualitätsdownload (320 kbps-MP3 oder FLAC) geschenkt. [sal: @@@]


Univers Zéro "Clivages"

Avantgarde/RIO – (Gar nicht sooo) düstere Avantgarde
(CD; Cuneiform)

"Implosion", das letzte Studio-Album der Chamber-Rock-Belgier von Univers Zéro (mal mit, mal ohne accent aigu auf dem e) liegt bereits sechs Jahre zurück. Zwischenzeitlich gab es ein exzellentes Live-Album ("Live", 2006), eine Wiederveröffentlichung ("Univers Zéro" 1977/2008) und ein Album mit unveröffentlichtem Archiv-Material ("Relaps: Archives 1984-1986", 2009): Man könnte meinen, dass sich die über 30-jährige Bandgeschichte der Truppe um den Drummer/Komponisten Daniel Denis so langsam dem Ende zuneigt, doch wenn man ihr neuestes Studiowerk "Clivages" (zu Deutsch 'Spaltungen') anhört, dann ist von Müdigkeit oder schlappen Alterswerk nichts zu hören.
Im Vergleich zu den letzten UZ-Alben hat Mastermind Denis nun in Michel Bercksmans und Kurt Budé zwei gleichwertige Komponisten-Kollegen in der Band, die das Spektrum weiter, weniger elektronisch und farbenfroher (!) gestalten als auf den letzten Studiowerken, die weitgehend von Denis allein geschrieben und produziert wurden. Kein Zweifel: Univers Zéro sind nun auch im Studio wieder eine richtige Band. Dass "Clivages" im Vergleich zu anderen Alben der Truppe nun verhältnismäßig heiter ausgefallen ist, ist sicher auch ein Verdienst der 'Demokratisierung' der Band: Es ist ja weiß Gott nichts Verwerfliches dabei, wenn man zwischen all den Alpträumen, die UZ so geschickt in Noten fasst, auch das eine oder andere Allegro hören kann.
Mit Rockmusik hat das alles wie immer nur bedingt etwas zu tun, aber die Kenner der Mischung aus moderner Kammermusik und Avantgarde-Rock wissen, was sie bei Univers Zéro erwartet, trotz der kleinen Evolution im Sound. [sal: @@@@]


Barry Cleveland "Hologramatron"

Progressive Rock/Fusion/Avantgarde – 21st century protest avant-rock album
(CD; Moonjune)

Seit Wochen bekomme ich das Album "Hologramatron" von Barry Cleveland nicht mehr aus meinem Player und das hat mehrere Gründe: Da wären die exzellenten, bitterbösen Texte, die in ungewohnter Schärfe auf den Zustand der Gesellschaft in den USA schießen, ohne plump und plakativ zu werden; da wäre die exzellente Mischung aus aggressivem Progressive Rock (à la King Crimson), groovendem, unverkrampften Fusion-Jazz, leichten Ethno- und Ambient-Einflüssen (wie ein Hauch von Brian Eno), gespickt mit einigen Sixties-Anleihen und zahlreichen originellen Zitaten und Wendungen; da wäre die überzeugende, warme Produktion und da wären die herausragenden Einzelleistungen in der Band, namentlich von Barry Cleveland an der Gitarre, Michael Manring am Bass, Celso Alberti an den Drums und der Sängerin Amy X. Neuburg, die einigen Songs mit ihrem Gesang die nötige Schärfe gibt. "Hologramatron" gehört zu den wenigen Alben der letzten Jahre, die ich von Anfang bis Ende durchhören möchte.
Cleveland, der nach ersten Jazz- und Fusion-Alben ("Mythos", 1986; "Voluntary Dreaming", 1990; "Memory & Imagination", 2003, "Volcano", 2004) viele Jahre als Journalist gearbeitet hat, nahm sich viel Zeit für sein Comeback: In "Hologramatron" steckt viel Sorgfalt und gebündelte Kreativität, aber auch aufgestaute Frustration und Wut in seiner furiosen Kapitalismus-Kritik. Mir ist dieses Jahr kein Album im Progsektor untergekommen, dass mich mehr beeindruckt hat.
Auf Clevelands Myspace-Seite kann man das komplette Album (minus der drei Remixe im Anhang) anhören: Das wütende "Lake Of Fire", das melancholische "Stars Of Sayulita" und die beiden Instrumental-Nummern "You'll Just Have To See It To Believe" und "Abandoned Mines" sollten einen guten Eindruck von der gesamten Bandbreite des Albums vermitteln. [sal: @@@@@]


@@@@@ - potentieller Meilenstein: Starlight
@@@@ - definitives Highlight: Highlight
@@@ - erfreuliche Delikatesse: Delight
@@ - solides Handwerk: Solidlight
@ - verzichtbarer Ausschuss: Nolight


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