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[ << | Inhalt | >> ]Ausgabe #656 vom 14.12.2009
Rubrik Feature

Klassische Weihnachtsmusik aus sechs Jahrhunderten

Wie auch schon in den vergangenen Jahren, präsentiere ich im auch heuer eine Auswahl von Neu- und Wiederveröffentlichungen (mehr oder minder) klassischer Weihnachtsmusik. Dabei ist überraschend viel Gutes dabei, andererseits auch genügend allzu routiniert und profillos eingespieltes und ein paar echte Nieten, um die man lieber einen Bogen machen sollte. Es gibt zu viel gute (Weihnachts-) Musik, um sich mit schlechter aufzuhalten. In diesem Sinne: Jauchzet! Frohlocket! [sal]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


Anonymous / Les Passions · Les Sacqueboutiers · La Mounède "Cantem Nadal"

Folklore / Klassik – Okzitanische Weihnachtsmusik des Barock
(CD; Ligia Digital)

Das Okzitanische ist eine romanische Sprache, die heute noch im südlichen Drittel Frankreichs, sowie in Randgebieten Italiens und Spaniens gesprochen wird. Obwohl sie in ihrem Hauptverbreitungsgebiet Frankreich nicht als Amtssprache anerkannt ist und von der heutigen Bevölkerung nur noch selten und im familiären Kreis benutzt wird, wird heutzutage wieder verstärkt versucht, diese ehemalige Kultursprache Europas – das Provenzalische, ein Dialekt des Okzitanischen, war die Sprache der Dichter der Troubadour-Lyrik in weiten Teilen Europas des 12. und 13. Jahrhunderts – wenn nicht wiederzubeleben, dann doch zumindest zu erhalten. Die vorliegende CD "Cantem Nadal" ist ein gelungenes Beispiel dafür, wie südfranzösische Musiker heute versuchen, der Tradition dieser Sprache möglichst authentisch gerecht zu werden.
Die auf "Cantem Nadal" zu hörenden Weihnachtslieder in okzitanischer Sprache stammen aus einem alten Manuskript der Universitätsbibliothek Avignon, in der okzitanische Weihnachtslieder anonymer Komponisten aus den Jahren 1570-1610 zusammengefasst worden sind. Die drei beteiligten Ensembles, Les Passions, Les Sacqueboutiers und La Mounède wählten bei ihren Rekonstruktionen eine zeit- und ortstypische Instrumentierung, die Elemente der Spätrenaissance mit dem Frühbarock und der okzitanische Folklore verbindet. Das Ergebnis ist eine für heutige Ohren ungewöhnlich folkloristische, dennoch aber 'wissenschaftlich fundierte' Umsetzung – in den Ensembles findet man zahlreiche Wissenschaftler aus den Bereichen Musik, Sprache und Literatur – die nicht viel mit dem zu tun hat, was wir gemeinhin unter barocker Weihnachtsmusik verstehen. Zum Glück, denn so ist "Cantem Nadal" eine interessante Veröffentlichung mit unverfälschter, alter Weihnachtsmusik geworden, die sich in Inhalt und Klang von vielen anderen derartigen Sammlungen abhebt. [sal: @@@]


Various / Deborah York · Elbpolis "Per Il Santissimo Natale"

Klassik – Barocke Weihnachtsmusik aus Deutschland und Italien
(CD; Berlin Classics)

So glänzend wie das Cover, so voller barockem Prunk präsentiert sich auch die Musik auf der CD "Per Il Santissimo Natale", eingespielt vom Hamburger Barock-Ensemble Elbpolis und der Sopranistin Deborah York.
Instrumental- und Vokalwerke wechseln sich auf dieser gut einstündigen CD ab und präsentieren Musik von Alessandro Melani (1649-1703), Melchior Hoffmann (1685-1715), Francesco Onofrio Manfredini (1684-1762), Georg Friedrich Händel (1685-1759), Giuseppe Torelli (1658-1709) und Christian August Jacobi (1685-1725), die sich thematisch ums 'heiligste Weihnachtsfest' dreht, ganz wie der Albumtitel suggeriert. Das Ergebnis ist durchaus gelungen, vor allem weil man bei der Auswahl der Werke auf allzu Abgegriffenes verzichtet hat. Wer eine abwechslungsreiche CD mit barocker Weihnachtsmusik für den Heiligabend sucht, der ist mit "Per Il Santissimo Natale" nicht schlecht beraten, auch wenn der Hinweis erlaubt sei, dass es zahlreiche andere Sammlungen mit barocker Weihnachtsmusik auf dem Markt gibt, die ähnlich aufgebaut sind. Dies hier ist (im positiven Sinne) solides Handwerk. [sal: @@]


Johann Mattheson / Kölner Akademie, Michael Alexander Willens "Das größte Kind"

Quelle: http://www.cpo.de

Klassik – Barockes Weihnachtsoratorium
(CD; cpo)

Der Hamburger Komponist Johann Mattheson (1681-1764) ist einer jener vielen 'kleinen Meister' des deutschen Barocks, die heutzutage weitgehend vergessen worden sind. Der Zeitgenosse Bachs und Händels, mit letzterem war er eng befreundet, war eine wichtige Figur der Hamburger Musikszene, zunächst als Komponist, später als Musiktheoretiker. Sein Oratorium "Das größte Kind" wurde 1720 im Hamburger Dom, dessen musikalischer Direktor er 1715-1728 war, uraufgeführt. Es ist nur eines von 33 Oratorien, die Mattheson neben sechs Opern und zahlreichen Orchester- und Kammerwerken schrieb.
Das Raritätenlabel cpo hat das knapp einstündige Weihnachtsoratorium in seiner Reihe 'Musica Sacra Hamburgensis 1600-1800' in hochkarätiger Besetzung veröffentlicht. Einige der besten deutschen Barocksänger, darunter Susanne Rydén, Wolf Matthias Friedrich und Nele Gramß, hauchen gemeinsam mit der exzellenten Kölner Akademie unter Michael Alexander Willens diesem vergessenen Meisterwerk Leben ein. Dazu kommt der festliche, fröhliche und geradezu opernhafte Charakter des Werkes mit vielen schönen Arien und Chören. Unterm Strich ergibt das eine der schönsten Veröffentlichungen im Bereich der (klassischen) Weihnachtsmusik. [sal: @@@@]


Johann Sebastian Bach / The Sixteen, Harry Christophers "The Bach Collection"

Klassik – Bach'sche Chorwerke: Das "Weihnachtsoratorium", die "h-Moll-Messe" und Kantaten (1990-1994)
(5CD; Coro)

Dass das englische Gesangsensembles The Sixteen zu den allerbesten seiner Zunft gehört, mache ich noch bei der Sammlung "The Golden Age of Polyphony" mit englischer Kirchenmusik des 16. Jahrhunderts deutlich. Die hier vorliegende 5CD-Box fasst ihre besten Bach-Aufnahmen zusammen, darunter eine der besten Aufnahmen des Weihnachtsoratoriums überhaupt und eine nicht minder gelungene Aufnahme der h-Moll-Nesse, sowie eine CD mit den Kantaten Nos. 34, 50 und 147. Den Orchesterpart übernimmt bei allen drei Einspielungen das dem Chor angeschlossene, nicht minder überzeugende Ensemble The Symphony of Harmony and Invention.
Allen Einspielungen gemein ist ein unglaublich homogener Klangeindruck wie aus einem Guss: Trotz brillanter Solisten (darunter Mark Padmore und James Bowman) sind dies Aufnahmen eines Kollektivs, bei denen sich die Glanzleistungen der Solisten nahtlos in die überdurchschnittlichen Qualitäten des Chors und des Orchesters einreihen. Die ausgewogene Leitung von Harry Christophers, dem eine nachvollziehbare Balance zwischen religiösem, pädagogischem und musiktheatralischem Charakter gelingt, rundet das rundum positive Bild der Aufnahmen ab: ein echter Leckerbissen für Bach-Fans, nicht nur zur Weihnachtszeit. [sal: @@@@]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


Various / Singer Pur "Drei Schiffe sah ich segeln nach Bethlehem!"

Klassik / Folklore – deutsche Weihnachtslieder und Weihnachtslieder auf Deutsch (2008)
(CD; Oehms)

Das deutsche Gesangssextett Singer Pur hat sich 2006 mit "SOS - Save Our Songs", auf dem sie deutsche Volkslieder entstaubt und neu arrangiert vortragen, als eines der interessantesten hiesigen Gesangsensembles empfohlen. Gleichzeitig bewiesen sie bei ihrer diesjährigen Veröffentlichung der Petrarca-Madrigale von Adrian Willaert, dass sie alles andere als 'nur' Grenzgänger zwischen Klassik und Folklore sind.
Mit ihrer frischen, natürlichen, aber hoch professionellen Art haben sie sich auf "Drei Schiffe sah ich segeln nach Bethlehem!" deutsche Weihnachtslieder und Weihnachtslieder auf Deutsch (also Weihnachtslieder, die ursprünglich nicht aus dem deutschsprachigen Raum stammen, aber mit deutschem Text bei uns populär geworden sind) vorgenommen. Mal fröhlich, mal fromm, mal festlich singen sich die fünf Herren mit Dame durch 20 der populärsten Weihnachtsmelodien dessen, was andernorts mit "German Christmas" bezeichnet wird.
Selbst die abgegriffenste Nummer, mit der wir im Kaufhaus von Synthesizer-Glöckchen, Drum-Computern und krähenden Kindern oder Schlagersternchen gefoltert werden, sagen wir mal "Es ist ein Ros entsprungen" oder "Stille Nacht, Heilige Nacht" erstrahlt bei Singer Pur in schlichter Schönheit. Eine der schönsten A-Cappella-Platten mit Weihnachtsmusik, die man sich zulegen kann. [sal: @@@@]


Various / Münchener Bach-Chor, Hansjörg Albrecht "Frohlocket ihr Völker auf Erden"

Klassik – Deutsche romantische Weihnacht
(CD; Oehms)

Neben dem Barock ist vor allem die deutsche Romantik heute noch eine Quelle für traditionelle Weihnachtsmusik. Komponisten wie Johannes Brahms, Engelbert Humperdinck, Carl Loewe, Felix Mendelssohn-Bartholdy, Max Reger, Hugo Wolf und andere zeichnen für einige der schönsten Weihnachtsmelodien und -arrangements überhaupt verantwortlich.
Der renommierte Münchener Bach-Chor, vom (relativ) neuen Leiter Hansjörg Albrecht klanglich erneuert und (wieder) auf internationales Spitzenniveau gebracht, zelebriert auf "Frohlocket ihr Völker auf Erden" a cappella oder mit dezenter Begleitung die Weihnachtsgeschichte, von der Verkündung über die Geburt bis hin zu den Huldigungen der Hirten und der Drei Heiligen Könige. Die Auswahl der Kompositionen, die ausgeklügelte Klangregie und (nicht zuletzt) die schönen und teilweise sehr bekannten Melodien, die hier geschmackssicher und festlich umgesetzt wurden, machen aus dieser 'Compilation' (immerhin wird hier ein Bereich von rund 150 Jahren Musikgeschichte abgedeckt) ein echtes Konzeptalbum.
Wer es in der Weihnachtszeit besonders feierlich und bewegend mag, kann hier getrost zugreifen. [sal: @@@@]


Carol Ann Duffy · Sasha Johnson Manning / The Manchester Carollers · Northern Chamber Orchestra, Richard Tanner "The Manchester Carols"

Klassik – Neue englische Weihnachtslieder
(CD; Naxos)

Machen wir es kurz: Was als 'Weihnachtsgeschichte für das 21. Jahrhundert' von der Dichterin Carol Ann Duffy und der Komponistin Sasha Johnson Manning 2007 in "The Manchester Carols" in 16 typisch englischen Christmas Carols umgesetzt wurde, hält nicht, was es verspricht. Im Gegenteil: Statt einer zeitgemäßen textlichen und klanglichen Umsetzung der Weihnachtsgeschichte scheint mir "The Manchester Carols" besonders altbacken zu sein. Die Carols sind kitschig instrumentiert, die Chöre eher langweilig arrangiert und von den Manchester Carollers zwar mit unüberhörbarer Freude, aber eben auch nicht mit letzter Präzision vorgetragen.
Der englische Komponist John Rutter schreibt und arrangiert seit Jahren deutlich bessere Carols, die genauso altmodisch (aber eben nicht altbacken) klingen, die aber wenigstens nicht den Anspruch erheben zeitgemäß zu sein. Diese CD klingt jetzt schon verstaubt und überholt. Wohl eher etwas für hartgesottene Carols-Liebhaber mit Nostalgie-Tick. [sal: @]


Karl Jenkins "Stella Natalis"

Ethno/Klassik – Ethnokitsch meets Weihnachtskitsch
(CD; EMI Classics)

Ich habe eine Schwäche für Weihnachtsmusik, deswegen bin ich mir nicht immer bewusst, wie schlecht ihr Ruf ist. Es gibt genügend Leute (nicht zuletzt in meinem Freundeskreis), die nicht zu unterschätzende Aggressionen bekommen, wenn es ihnen weihnachtlich entgegen schallt. Und wenn ich mir CDs wie "Stella Natalis" von Karl Jenkins anhöre (Was ist bloß aus dem Karl Jenkins der 1970er von Soft Machine geworden?), verstehe ich auch warum. Gefällig produzierte Light-Classics mit weniger als belanglosen Texten, stromlinienförmig begradigten Klängen aus der Ethno-Mottenkiste, Werbefernsehen-Chöre in Disney'scher Technicolor-Ästhetik, billige Pizzicato- und 08/15-Hollywood-Effekte des Orchesters, dazu jede Menge Schmalz, schwülstige Arrangements, peinlicher Pathos und oberflächlicher Esoterik- und Völkerverständigungsquatsch. Das klingt stellenweise so, als ob ein zweitklassiges "König der Löwen"-Musicalensemble selbst drittklassige Weihnachtslieder komponiert hätte. Noch schlimmer wird alles, weil sich Jenkins für das Album prominente Unterstützung von der talentierten Sopranistin Kate Royal und der Weltklasse-Trompeterin Alison Balsom geholt hat. Bei solch einem offensichtlich kommerziellen Ausverkauf stößt mir der noch nicht gegessene Weihnachtsbraten auf. Ich bemühe mich normalerweise, zumindest die Professionalität der Musik zu honorieren und Musik letzten Endes Geschmackssache sein zu lassen. Aber bei diesem Album ist es eben genau diese berechnende und professionell perfekt umgesetzte "Ich-mach-es-allen-recht-und-gefällig"-Attitüde, die mir über die Hutschnur geht.
Dies ist die schlechteste, schrecklichste, garstigste Weihnachts-CD eines 'seriösen' Labels, die mir in all meinen Jahren als Weihnachtsmusik-Fan und -Rezensent untergekommen ist. Shame on you, Mr Jenkins. Finger weg! [sal: @]


@@@@@ - potentieller Meilenstein: Starlight
@@@@ - definitives Highlight: Highlight
@@@ - erfreuliche Delikatesse: Delight
@@ - solides Handwerk: Solidlight
@ - verzichtbarer Ausschuss: Nolight


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