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[ << | Inhalt | >> ]Ausgabe #269 vom 12.11.2001
Rubrik Feature

Willy Schwarz im Gespräch

Eine persönlich durchgeführte Umfrage bestätigte: Willy Schwarz gilt es noch zu entdecken. Leute, die ihr gerne Musik hört, ein gut gemeinter Tipp: Aufwachen, hört seine fabelhafte Musik, denn sein aktuelles Album "Home..." ist Musik für die Zukunft. Nun ergab sich die Möglichkeit zu einem Telefonat mit dem Multiinstrumentalisten und Sänger, der seit zwei Jahren in Bremen lebt und gerade drauf und dran ist, seinen zur Zeit in den U.S.A. tourenden Immigrantenchor nach Deutschland zu holen. Das Telefonat war sehr ausgiebig, irgendwann meinte Willy Schwarz: "Ich bin erschöpft." Immerhin war es sein erstes Interview in deutscher Sprache...

Der knapp über 50-jährige Willy Schwarz ließ lange auf sein erstes Soloalbum warten, wieso eigentlich? "Ich war nie ehrgeizig genug, ein Solo-Künstler zu werden. Ich arbeitete für verschiedene Musiker und spielte auch viel Musik für's Theater. Meine erste professionelle Band gründete ich 1964 in Michigan – ein Trio, das Folk-Music spielte, und schon damals habe ich eigene Lieder geschrieben, die freilich im Zeichen der Civil Rights Movements standen, stark beeinflusst von Lead Belly, Sonny Terry & Brownie McGhee, Woody Guthrie und Pete Seeger, den ich dann auch persönlich kennen lernte, so wie auch Bob Dylan, mit dem ich als Teenager ein paar Mal zusammen war. Anfang der 70er Jahre interessierte ich mich dann zusehends für indische Musik und Klezmer, aber auch für afrikanische Musik, Blues und Jazz."
Von der mittlerweile florierenden "Worldmusic"-Szene und von sogenannter "New Age"-Musik hält Schwarz nicht viel: "Ich mag diese Begriffe nicht und ich mag die Musik nicht. Ich hab zuviel Respekt vor der Tradition selbst. Ich mag nicht, wenn bestimmte Elemente ohne Ziel verwendet werden. So ist z.B. "Lavaplatos" auf dem neuen Album bewusst ein Corrido geworden, also eine bestimmte Art politischen Gesangs aus Mexiko, weil in Chicago sind nämlich alle Tellerwäscher Mexikaner."
Die Entstehungsweise eines Songs ist sehr unterschiedlich: "Calcutta" über die indische Fruchtbarkeitsgöttin Kali begann Willy Schwarz bereits 1973. "Meistens brauche ich sehr lange für ein Lied, "Italia" aber ist für meine Verhältnisse schnell entstanden, nämlich im letzten Jahr nach meiner Italien-Reise", so Schwarz. "Mein Freund und Produzent Warren Senders hat mir beim Text von "Italia" sehr geholfen, wir haben lange über einzelne Textzeilen diskutiert. Ich versuchte nämlich, vier verschiedene Strömungen im Text unterzubringen: Satire, Nostalgie, Surrealismus und Sozialkritik. Zugleich ist es auch ein sehr persönliches Lied über meine Familiengeschichte."
Die Musik entsteht vielfach aus dem traditionellen Liedgut eines Landes, Willy Schwarz entwickelt die Melodien weiter und schafft daraus ein neues Lied. "Die Vichitra Vina ist mein Lieblingsinstrument und hat den Sound von "Live For The Moment" und der Tour stark geprägt." Er greift zum Instrument und lässt den Klang durchs Telefon schwingen.
Eine Vichitra Vina hat zwei große Kürbisresonatoren. Statt eines Resonanzrohres besitzt sie einen bundlosen Korpus in Form eines sehr breiten Instrumentenhalses mit Resonanzsaiten, Brücke und Wirbel. Der Spieler zupft die Saiten mit Plektren an Zeige- und Mittelfinger und die Bordunsaiten mit dem kleinen Finger. Die Tonhöhe wird – ähnlich wie bei der Bottleneck-Technik der Slide-Gitarre – durch Hin- und Herbewegen eines glattpolierten Steines auf den Spielsaiten verändert. Die Vichitra Vina ist heutzutage ein äußerst selten gespieltes Instrument, womit wir nun die Instrumentenkunde abhaken können.
"Der Unterschied zwischen meinen beiden Alben ist, dass ich beim neuen mit einer richtigen Band ins Studio ging, bei jedem Lied sind die gleichen Musiker zu hören. Das hat der Arbeit sehr gut getan, live bewegen wir uns sehr frei, mir ist es nicht möglich, ein Lied zweimal annähernd gleich zu spielen."
Das Herzstück des neuen Albums, "Refugees", hätte eigentlich aufs Debüt-Album kommen sollen, aber der Kontext zum Rest hat nicht wirklich gepasst und das Konzept für "Home" stand außerdem bereits, so konnte der Song noch weiter reifen: "Die Zeilen "Now is the dark of the moon/ The hour of fury and fears/ Here are the wages of greed and of hate/ Paid off in full with our tears" sind die traurigsten Zeilen, die ich jemals schrieb, und brachten mich, als ich sie zum ersten Mal – lange vor den Anschlägen – im Studio hörte, zum Weinen. Diese Zeilen widerspiegeln genau das, was am 11. September 2001 passierte." [mh]


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