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[ << | Inhalt | >> ]Ausgabe #525 vom 12.03.2007
Rubrik Feature

Jazz im Autohaus

Karstadt im Audizentrum

Kultur und Kommerz – ein Thema, das wahrscheinlich so alt ist, wie die Kunst selbst. 'Kultursponsoring' ist längst kein Reizwort mehr, sondern eine gängige Praxis, die genauso achselzuckend akzeptiert wird, wie die Bandenwerbung beim Sport. Wer sich dennoch darüber aufregt, gilt als altmodisch und weltfremd. Und tatsächlich darf man die Kooperation zwischen Wirtschaft, Handel und Kulturbetrieb nicht grundsätzlich verurteilen. Beispiel Musik: In Zeiten knapper öffentlicher Gelder lassen sich viele namhafte Künstler nur erst durch die finanzielle Unterstützung eines oder mehrerer Unternehmen veranstalten. Ansonsten stünde man vor der Wahl: Entweder wäre der Eintrittspreis unsäglich hoch – was das Publikum in den meisten Fällen nicht akzeptieren würde – oder die Künstler müssten zu Hungerlöhnen arbeiten. So weit, so legitim. Fragt sich bloß: Wo liegt die Grenze?
Das Kaufhaus Karstadt in Nürnberg hat mit seinem 'Karstadt Kultur Café' in den letzten 25 Jahren unter der Leitung von Heinrich Sager eine elegante Lösung gefunden: Mit sicherem Geschmack und ohne Scheu vor manchem Risiko hat Sager zahlreiche Weltstars und hoffnungsvolle Newcomer des Jazz, der Worldmusic und des Kabarett nach Nürnberg geholt und damit das kulturelle Leben der Stadt enorm bereichert. Dabei müssen die Konzertbesucher nicht das gesamte Kaufhaus mit seinen Auslagen durchqueren, sondern erreichen das Café durch einen separaten Eingang. Die Werbung im Café bleibt dezent, das Augenmerk liegt ganz auf der künstlerischen Darbietung. Gerade deswegen dürfte der Name Karstadt bei den Besuchern positiv besetzt sein. Nach dem Opernhaus – auf das obiges selbstredend erst recht zutrifft – hat Kunst Kultur Karstadt nun einen weiteren Spielort für seine Konzerte gefunden: Das Audi-Zentrum in der Marienstraße unweit des Flughafens. Hier bekommt der Begriff 'Kultursponsoring' eine ganz andere Dimension: Gespielt wird in einem extravagant designten Verkaufsraum, einem Traum aus Glas, Stahl und schrägen Winkeln. Am Kopfende eine große Bühne mit professioneller Beschallungs- und Lichtanlage, davor die akkuraten Stuhlreihen. Zur linken die neuesten Automobile des Hauses unter Schildern wie 'Ersatzteile/Zubehör' oder 'Reparaturen'. Auf der Balustrade weitere Fahrzeuge, die halb über die Brüstung ragen, so dass man als Zuschauer öfter mal skeptisch nach oben blickt. Nein, dies ist kein Konzertsaal, sondern ein Autohaus, daran ändert auch die überraschend gute Akustik nichts. Die Künstlerinnen des Abends, die norwegische Sängerin Kari Bremnes mit ihren elegischen Popsongs und die amerikanische Jazzpianistin Lynne Arriale, scheinen sich äußerlich nicht von der sterilen Atmosphäre irritieren zu lassen und das Publikum honoriert ihre Darbietungen lautstark. Aber wer sie schon in anderem Kontext gehört hat, weiß, dass beide doch ein ganzes Stück unter ihrer Bestform bleiben.
Die Frage nach den Motiven des Veranstalters für den Wechsel ins Autohaus – für diese Saison sind zunächst sechs Konzerte geplant – ist freilich reichlich naiv. Heinrich Sager erzählt von einer fruchtbaren Partnerschaft, von der beide Seiten profitieren, von der Hoffnung auf 'neue Kunden' und dass das Publikum ja auch mal was Neues erleben möchte. Dabei ist es unerheblich, wie viel Geld hier in welche Richtung fließt, vielmehr stellt sich die Frage: Wie weit lassen wir den Markt noch in unser Leben eindringen? Musik ist eine der höchsten, kostbarsten Errungenschaften der Menschheit und es schmerzt, wenn die Beatles im Supermarkt zu Verkaufshelfern degradiert werden, genauso wie es schmerzt, wenn Jazz im schnieken Autohaus im Industriegebiet präsentiert wird, wobei tunlichst darauf geachtet wird, dass auch während des Konzerts das Saallicht so hell bleibt, dass die Luxuskarossen gut sichtbar bleiben. Für Oscar Wilde war die Musik "der vollkommene Typus der Kunst", der schottische Schriftsteller und Philosoph Thomas Carlyle nannte sie "Die Sprache der Engel". Die Sprache der Engel im Autohaus? Nicht wirklich, oder?
(Gekürzte Erstveröffentlichung in den Nürnberger Nachrichten) [pg]


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