#578 vom 07.04.2008
Rubrik Neu erschienen
Dota und die Stadtpiraten "In anderen Räumen"
Zweites Live-Album der Berliner Sängerin/Songschreiberin und ihrer hochmusikalischen Band
(CD; Buschfunk)
Nach zwei hervorragenden Studio-Alben ("Blech & Plastik", 2005 und "Immer nur Rosinen", 2006) legt Dota Kehr, besser bekannt als
Kleingeldprinzessin, nun ihre zweite Live-CD vor. Aufgenommen bei drei Konzerten daheim in Berlin stellt "In anderen Räumen" naturgemäß keinen Meilenstein in der Entwicklung dieser deutschlandweit wirklich einzigartigen Künstlerin dar, sondern vielmehr eine Art Zwischen-Résumé. Und beweist, dass die Stadtpiraten auch live und ohne doppelten Studioboden eine mit allen Wassern gewaschene, flockig groovende, Jazz-bewanderte, hoch-musikalische Kapelle sind.
Neben einigen Songs aus den letzten beiden Alben dürfen wir uns auch über neue freuen, die ein weiteres Mal mit Dota Kehrs typischen Songschreiber-Qualitäten punkten: "Trägst du mich" ist eine surreale, poetische Liebeserklärung an Berlin, mit Versen, die nach rissigem Altbau und aus der Zeit gefallenen Hinterhof-Welten duften, lässig schlendernd im Reggae-Groove. "Weit, weit, weit" beflügelt als schwerelos schwebende Reise-Meditation, während "Wir halten uns" ein weiteres Mal das nüchterne Scheitern, die Desillusion nach dem Rausch der Verliebtheit in einen bittersüßen Bossa packt. Ihre lakonischen Beobachtungen, diese scheinbaren Nebensächlichkeiten sind dabei die Rosinen im Kuchen, und beweisen ein Sprachgefühl, welches man im deutschen Pop oft so dringend vermisst. Der August brütet mit bleierner Schwere, Efeu wächst die Wand hoch, Wasser verdunstet stetig und unsichtbar, im Hof üben Mädchen ein Tanzstück. Und drinnen im Zimmer klammern sich die gescheiterten Liebenden in stiller Verzweiflung aneinander und können sich doch nicht vor der Erkenntnis retten: "Wir halten uns, halten uns doch nur auf". Wunderschöner Schmerz.
Und sonst? Jede Menge berechtigtes, schlau formuliertes Unbehagen über den Zustand der Gesellschaft ("In der überwachten Welt", "Schlaraffenland"), zwischenmenschliche Zwischentöne, meist in traurigem Bossa-Moll – und ein albern-poppiger Ausrutscher ("Containerhafen"). Dota Kehr und die Stadtpiraten sind nach wie vor eine der ganz wenigen Inseln im deutschen Ozean des Schrammelrock und der Poesie-Album-Lyrik. Gerade ist die Band auf Tour, schaut sie euch an, wenn sie in der Nähe sind. Es lohnt sich.
8.4.2008 Göttingen, 9.4. Siegen, 10.4. Köln, 11.4. Moers, 12.4. Kassel, 16.4. Hamburg, 17.4. Kiel, 18.4. Bremen, 19.4. Bielefeld, 22.4. Marburg, 23.4. Darmstadt, 24.4. Heidelberg, usw. [pg: @@@]
Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:
<#670: Dota und die Stadtpiraten "Bis auf den Grund"> [dmm:Â @@@@]
<#629: Interview mit Dota Kehr> [pg]
<#629: Dota "Schall und Schatten"> [pg:Â @@@@@]
@@@@@ - potentieller Meilenstein: Starlight
@@@@ - definitives Highlight: Highlight
@@@ - erfreuliche Delikatesse: Delight
@@ - solides Handwerk: Solidlight
@ - verzichtbarer Ausschuss: Nolight
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