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[ << | Inhalt | >> ]Ausgabe #501 vom 11.09.2006
Rubrik Feature

D-Es-C-H #2

Am Ende dieses Monats, genauer gesagt am 25.9.2006, jährt sich zum 100. Mal der Geburtstag des am 9.8.1975 in Moskau verstorbenen sowjetischen Komponisten Dmitri Dmitrievich Shostakovich (deutsche Schreibweise: Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch). Über dreißig Jahre nach seinem Tod ist er unumstritten einer der bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts und erfreut sich offenbar immer größerer Beliebtheit, auch bei einem Publikum, das sich sonst nicht mit klassischer Musik auseinandersetzt.
Folgerichtig häufen sich kurz vor seinem posthumen Ehrentag die Veröffentlichungen mit seiner Musik; Grund genug, um einen weiteren Blick auf eine Auswahl der vielversprechendsten Neuerscheinungen zu werfen. [sal]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


Dmitri Shostakovich / Sergei Leiferkus · Russian Philharmonic Orchestra, Thomas Sanderling "Songs And Waltzes"

Klassik – Hörenswerte Raritäten
(CD; Deutsche Grammophon)

Das Sensationelle an der CD "Songs And Waltzes" mit späten Liedern und Walzern aus Filmmusiken von Dmitri Shostakovich (1906-1975) ist nicht die überraschende Qualität des Materials, hier gibt es bei genauerer Betrachtung gewiss relevantere Werke; es ist auch nicht deren tadellose Interpretation, sicherlich vor allem ein Verdienst des sachkundigen Bass-Baritons Sergei Leiferkus; das Sensationelle an dieser CD ist das Material selbst, das hier größtenteils zum ersten Mal in den gelungenen Orchestrierungen von Boris Tishchenko (*1939, ein Schüler Shostakovichs) aufgenommen wurde.
Die späten Liedzyklen Shostakovichs sind Kompositionen voll bitterer Ironie (textlich und musikalisch) und doppelbödiger Anspielungen. Sie komprimieren noch einmal Shostakovichs vielleicht herausragendstes Kompositionsmerkmal: die Satire. "Songs And Waltzes" ist mit seinen textlastigen Liedern und den seltsam unecht-fröhlichen, bisweilen lärmenden Walzern bestimmt nicht die zugänglichste Shostakovich-Neuveröffentlichung der letzten Monate, sie ist aber gewiss eine wichtige Bereicherung der Diskografie. [sal: @@@]


Dmitri Shostakovich / Various, Mariss Jansons "Sämtliche Symphonien"

Klassik – Sorgfältige Interpretationen: Neue Referenz
(10CD; EMI Classics)

Viel Zeit hat sich der lettische Dirigent Mariss Jansons mit der Vollendung seiner Gesamtaufnahme der Symphonien von Dmitri Shostakovich (1906-1975) gelassen. In den 17 Jahren von 1988 bis 2005 nahm er die 15 Symphonien auf und arbeitete dabei mit acht Weltklasse-Orchestern rund um den Globus zusammen: Die Berliner Philharmoniker, das London Philharmonic Orchestra, das Oslo Philharmonic Orchestra, das St. Petersburg Philharmonic Orchestra, das Philadelphia Orchestra, das Pittsburgh Symphony Orchestra, die Wiener Philharmoniker und das Symphonieorchester des Bayrischen Rundfunks waren die kongenialen Klangkörper für seine musikalischen und psychologischen Deutungen der symphonischen Musik Shostakovichs. Das Ergebnis liegt nun gebündelt in einer 10CD-Box mit 72-seitigem Booklet vor und ist sowohl klanglich, als auch künstlerisch sehr überzeugend geraten. Jansons Gespür für Shostakovich zeigt sich nicht nur in den wenigen populären (und eingängigen) Sätzen der Symphonien Nos. 5, 7 und 10, sondern auch (und gerade) bei den oft unterschätzten, sperrigen, widersprüchlichen Passagen in der gesamten symphonischen Musik Shostakovichs. Wo andere bloß die Noten verständnislos herunterdirigieren, gelingt es Jansons zu brillieren.
Neben der spektakulären Gesamteinspielung des WDR-Sinfonieorchesters unter Rudolf Barshai aus den 1990er Jahren, ist diese neue Gesamteinspielung eine Sammlung herausragender Referenzaufnahmen und somit unbedingt zu empfehlen. [sal: @@@@@]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


Dmitri Shostakovich / Symphonieorchester und Chor des Bayrischen Rundfunks, Mariss Jansons "Symphonies No. 3 »The First Of May« & No. 14"

Klassik – Jansons beschließt seinen Shostakovich-Zyklus
(CD; EMI Classics)

Wer Jansons Gesamteinspielung der Shostakovich'schen Symphonien bisher nach und nach einzeln auf CD gekauft hat, sollte sich selbstredend auch die zeitgleich mit der 10CD-Box erschienene Aufnahme der Symphonien Nos. 3 und 14 nicht entgehen lassen. Auch hier gilt, wie bei allen Jansons-Interpretationen: überragender Klang und psychologische Tiefe.
Neben der vor kurzem veröffentlichten, ebenbürtigen Aufnahme der Symphonie No. 14 von Simon Rattle (kombiniert mit der Symphonie No. 1) ist dies die wohl beste Aufnahme symphonischer Musik von Dmitri Shostakovich (1906-1975) aus dem Jubiläumsjahr. [sal: @@@@@]


Dmitri Shostakovich / Jan-Hendrik Rootering · Netherlands RPO & Choir, Mark Wigglesworth "Symphony No.13 »Babi Yar«"

Klassik – Shostakovichs mutiges Statement gegen Antisemitismus und Willkür
(SACD; BIS)

Die Symphonie No. 13 in b-Moll, op. 113 "Babi Yar" veröffentlichte Dmitri Shostakovich (1906-1975) in einer Woge von unterschwelligem Antisemitismus während der post-Stalin'schen Ära der Sowjetunion. Die Symphonie mit den engagierten Texten des Lyrikers Jewgeni Jewtuschenko (*1932) war ein mutiges Unterfangen, denn "Babi Yar" steht in der russischen Geschichte nicht nur für ein NS-Massaker an den Juden Kiews im Jahre 1941, sondern auch für die beschämend wohlwollende Kollaboration der ukrainischen Bevölkerung. Auf die Greueltaten in der Schlucht von Babi Yar zu deuten, bedeutet ebenso auf die Mitverantwortung am Pogrom zu zeigen.
Mark Wigglesworth und seinem Radio Filharmonisch Orkest Holland gelingt es in dieser Aufnahme leider nur teilweise, die schwer zu fassende Magie dieser schwierigen Komposition Shostakovichs zu greifen. Ausgerechnet im so zentralen ersten Satz "Babi Yar" wissen der Solist Jan-Hendrik Rootering und der Niederländische Rundfunkchor am wenigsten zu überzeugen und auch wenn die folgenden Sätze sehr beeindruckend geraten sind, gibt es wohl bessere Aufnahmen. Schade um die versäumte Gelegenheit zumindest in Sachen SACD eine rundum zufriedenstellende Referenzaufnahme vorzulegen. [sal: @@@]


Dmitri Shostakovich / Rasumowsky Quartett "Complete String Quartets"

Klassik – Sorgfältige Neueinspielung der Streichquartette Shostakovichs
(5CD; Oehms Classics)

Eine doppelt positive Überraschung ist dem Saarbrücker Rasumowsky-Quartett mit dieser Gesamtausgabe der 15 Streichquartette von Dmitri Shostakovich (1906-1975) gelungen. Zum einen greifen sie bei dieser Einspielung erstmals auf eine neue, sorgfältigst editierte Notenausgabe zurück, die viele Korrekturen gegenüber der bisherigen Ausgabe aufweist. Weitere Korrekturen steuerte Dmitris Sohn Maxim Shostakovich aus Quellen erster Hand bei. Zum anderen ist es das hier debütierende Quartett selbst, das sich durch technische Brillanz ohne große Showeffekte und durch eine unbedingte, schnörkellose Werksnähe auszeichnet.
Auch in Sachen Tempi und Lautstärke haben sich die vier Musiker weniger an der traditionellen Aufführungspraxis orientiert, sondern sich vielmehr genau an den Vorgaben des Komponisten. Die dadurch entstehenden strafferen, unsentimentalen Tempi und die bisher so noch nicht gehörten Dynamikwechsel führen zu überraschend neuen Höreindrücken bei den wohlbekannten Werken. Eine sinnvolle neue Gesamtausgabe mit vielen neuen Einsichten und darüberhinaus ein äußerst gelungenes Debüt. [sal: @@@@]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


Dmitri Shostakovich / Moscow Symphony Orchestra, Adriano "The Fall of Berlin · The Unforgettable Year 1919"

Filmmusik – Die 'offizielle' Seite Shostakovichs (2000)
(CD; Naxos)

Mit seinen eigentlichen Werken fiel Dmitri Shostakovich (1906-1975) beim stalinistischen Regime (und oft genug bei Stalin höchstpersönlich) immer wieder in Ungnade. Derweil viele seiner Hauptwerke verboten oder zumindest ignoriert und nicht aufgeführt wurden, sicherte er mit pompösen Jubelkompositionen für patriotische und pathosgeladene Propaganda-Filme das finanzielle Überleben seiner Familie.
Anders als bei seinen Filmmusiken für Eisenstein und Kozintsev handelt es sich bei den vorliegenden Kompositionen, hier erstmals vollständig rekonstruiert vom Filmmusik-Spezialisten Adriano, um schnöde Fingerübungen von Shostakovich mit geringem künstlerischen Wert, die er selbst verachtete: Breit und anbiedernd, vordergründig und populistisch, gerade gut genug für den Massengeschmack und mehr noch für den schlechten Geschmack der stalinistischen Zensur, gerade in den verwendeten Musikschnipseln keine Meisterwerke.
Es ist ein Verdienst der sorgfältigen Rekonstruktion Adrianos, dass man zum ersten Mal die wenigen echten Momente in diesen Auftragsarbeiten entdecken kann. Doch trotz aller Bemühungen gilt: Diese CD ist weniger 'gute Musik', sondern vielmehr ein Stück Zeitgeschichte und somit ein wichtiger Beitrag zum Shostakovich-Jahr. [sal: @@@@]


Verweise auf diesen Artikel aus späteren Ausgaben:


@@@@@ - potentieller Meilenstein: Starlight
@@@@ - definitives Highlight: Highlight
@@@ - erfreuliche Delikatesse: Delight
@@ - solides Handwerk: Solidlight
@ - verzichtbarer Ausschuss: Nolight


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